5 konkrete Schritte zu effektiven Team-Entscheidungen

Schwere Entscheidung! Welche Tür ist die richtige für uns? [Arek Socha auf Pixabay]

Ich erinnere mich noch genau an die verzweifelte Product Ownerin, die ich bei einem Vorgespräch zu einer Scrum Master Stelle kennenlernen durfte. Auf meine einleitende Frage “Und wo wünschst du dir Verbesserungen, wenn ich euch als Scrum Master begleite?” sprudelte es aus ihr heraus: “Mein Team kann nicht entscheiden! Erst wird lange geredet. Dann soll ich entscheiden, aber ich will das nicht, denn das ist ihr Dinge. Dann entscheiden sie irgendwie. Und als ich mal vorsichtig nachgefragt habe, hatten sie die relevanten Punkte gar nicht berücksichtigt. Oder zumindest wussten sie das später nicht mehr. Dann außerdem hält sich keiner an die Entscheidungen. Wir brauchen Hilfe!

Ich konnte sie sehr gut verstehen. Wenn man im Team ein Produkt entwickelt, das es vorher so noch nicht gab, prasseln ständig ungetroffene Entscheidungen auf einen ein. Kleine und Große. Solche mit viel Vorlauf und spontane. Entscheidungen mit weitreichenden Folgen und welche mit zeitlich begrenzten Auswirkungen.

Das ist kein Wunder. Scrum ist ja genau dafür gedacht, dass Teams in dynamischen Umfeldern schwierige Probleme lösen. Da gibt es meist kein eindeutiges Richtig und Falsch. Und daher oft schwierige Entscheidungen.

Das ist eine ziemliche Herausforderung jedes Team. Ganz besonders aber für neue Team von Leuten, die es gewohnt waren, sich bei Unklarheiten an ihren Chef zu wenden.

Was braucht ein Team für gute Entscheidungen?

Ich höre oft Tipps wie: “Probier’s doch mal mit Entscheidungstechnik X” oder “Ein Entscheidungs-Logbuch hilft”. Und das mag sein. Trotzdem lohnt es sich, den Blick von der konkret zu treffenden Entscheidung zu lösen und systematisch diese Aspekte der Reihe nach zu betrachten.

Gute Entscheidungen im Team erfordern:

  1. Vertrauensvolle Zusammenarbeit
  2. die Fähigkeit mit Konflikten konstruktiv umzugehen
  3. ein attraktives Ziel, das Orientierung bietet
  4. eine passende Entscheidungstechnik und den dafür nötigen Raum
  5. Follow-Up mit der richtigen Mischung aus Commitment und Anpassungsfähigkeit

Dadurch kannst du als Scrum Master:in deinem Team entscheidend dabei helfen, effektiver Entscheidungen zu treffen. Und das ist ein überaus wertvoller Beitrag. Tatsächlich hat sich das Investment in dich als Mitglied des Scrum Teams ökonomisch bereits gelohnt, selbst wenn du nichts tust, als dein Team nachhaltig und dauerhaft zu guten Entscheidungen zu befähigen!
Doch lass uns die fünf Schritte zu effektiven Entscheidungen der Reihe nach etwas genauer betrachten.

Vertrauensvolle Zusammenarbeit

Vertrauen ist die Grundlage eines funktionierenden Teams. Es bedeutet die Gewissheit, dass die Absichten der Teamkollegen gut sind und kein Grund zu Vorsicht und Zurückhaltung besteht. Die Teammitglieder fühlen sich frei, offen gegenüber den anderen im Team zu sein, und sind sich sicher, dass diese Offenheit nicht gegen sie verwendet wird.

Dies wird oft auch psychologische Sicherheit genannt.

Patrick Lencioni beschreibt in seinem Büchlein “Die 5 Dysfunktionen eines Teams” eindrucksvoll, was passiert, wenn diese Basis der Teamarbeit fehlt. Unter anderem

  • verbergen die Teammitglieder Schwächen und Fehler
  • flüchten sie aus Meeting und finden Gründe, keine Zeit miteinander zu verbringen,
  • verschwenden sie Zeit und Energie darauf, Verhaltensweisen nach ihrer Wirkung auszurichten – und dazu zählt auch das Äußern von Präferenzen bei Entscheidungen.

Auf Offenheit basierendes Vertrauen entsteht nicht einfach über Nacht. Es erfordert gemeinsam durchlebte Erfahrungen, Erlebnisse von Glaubwürdigkeit und Sich-Verlassen-Können und auch, sich gegenseitig mit Fähigkeiten, Stärken und Interessen gut zu kennen.

Hier einige Tipps, was du tun kannst, um Vertrauen im Team aufzubauen und zu stärken:

  • Persönliche Geschichte erzählen. Jede:r erzählt etwas über sich und orientiert sich dabei an einigen harmlosen Fragen wie Zahl der Geschwister, Heimatstadt, besondere Herausforderungen in der Kindheit, Lieblingshobby, erste Stelle, schlimmste Stelle, o.ä. So erleben sie einander als Mitmenschen mit Lebensgeschichte und interessantem Hintergrund.
  • Profile zur Persönlichkeits- und Verhaltenspräferenz. Tests wie der Myers-Briggs-Typ-Indikator (MBTI), der VIA-Stärken-Test oder auch die Moving Motivators sind gut geeignet um mehr Verständnis für die Einzigartigkeiten und Verschiedenheiten der Team-Mitglieder und so mehr Empathie füreinander zu entwickeln. Stelle dabei sicher, dass der Austausch in einer absolut respektvollen und wertschätzenden Atmosphäre geschieht. Hol dir Unterstützung, wenn du dich unsicher fühlst.
  • Teamerfahrungs-Übungen. Darunter fallen Seilkletter-Kurse und andere Team-Aktivitäten. Auch wenn sich einige darüber lustig machen und den Sinn infrage stellen, können sie doch eingebettet in weiteres, während der Arbeit stattfindendes Team-Building sehr hilfreich sein.

Fähigkeit mit Konflikten konstruktiv umzugehen

Entscheidungen zu treffen heißt immer auch, mit unterschiedlichen Ansichten, Perspektiven und Präferenzen umzugehen. Oft zeigt sich ein Entscheidungsbedarf ganz unvermittelt durch einen Konflikt.

Gute und dauerhaft effektive Teams brauchen konstruktive Auseinandersetzungen, wenn sie wachsen und gedeihen sollen. Leider werden Konflikte in vielen Teams als Tabu angesehen und vermieden. Leute investieren viel Zeit und Energie darin, genau die leidenschaftlichen Debatten zu vermeiden, die für jedes gute Team so entscheidend sind.

Dabei geht es nicht um zwischenmenschliches Taktieren oder gar persönliche Attacken, sondern um konstruktive Auseinandersetzungen mit Ideen, um die bestmögliche Lösung zu finden.

Diese konstruktiven Auseinandersetzungen zu vermeiden, ist vielleicht verlockend. Es könnte Zeit sparen, wäre emotional nicht so anstrengend und nicht so risikobehaftet. Doch Vorsicht! Wenn wichtige Ideen nicht offen debattiert werden, sucht sich der Konflikt andere Ventile. Und diese dann oft hinterhältigen persönlichen Attacken sind viel hässlicher, schädlicher und letztlich zeitaufwändiger als jede hitzige offene Diskussion um die Sache.

Hier einige konkrete Vorschläge, wie du die Konfliktfähigkeit in deinem Team stärken kannst:

  • Jemand übernimmt zeitweise die Rolle eines Konflikt-Schürfers, die darin besteht, verborgene Differenzen zu suchen und zutage zu fördern. Das kann der Scrum Master sein, aber genauso gut auch jede andere Person im Team. Sie braucht Mut und Selbstvertrauen, um auch heikle Themen anzusprechen und die Teammitglieder dazu zu bringen, sie auch auszudiskutieren. Mit Objektivität in der Sache und der Bereitschaft, dran zu bleiben, bis der Konflikt aufgelöst ist.
  • Den Konflikt wertschätzen. Vielen Teams hilft es, wenn sie in einer Auseinandersetzung gesagt bekommen, wie wichtig und gut das ist, was sie gerade tun. Und nach Abschluss einer Diskussion ist es hilfreich, wenn jemand die Teilnehmer daran erinnert, dass diese Auseinandersetzung gut und wichtig für das Team war und nicht etwas, das in Zukunft vermieden werden sollte.
  • Wechselseitiges aktives Zuhören fördern. Jemanden seinen Standpunkt erklären lassen und dann so genau wie möglich wiedergeben, was er oder sie gesagt hat. Danach die Rollen tauschen. Das ist für den, der gerade geredet hat, nicht redundant oder langweilig. Oft kommt dann ein “Nein, ich meinte …”. Und allmählich immer öfter ein “Ja, genau!” Ein einfaches Mittel, das oft Wunder wirkt.

Ein attraktives Ziel, das Orientierung bietet

Um sich in einer unübersichtlichen, dynamischen Welt gut entscheiden zu können, braucht es ein sinngebendes Ziel. Eines, das man für erreichbar hält, das attraktiv ist und Orientierung bietet.

Wenn eine Entscheidung getroffen werden will, frage dich: für welches Ziel ist die Entscheidung relevant? Welches Ziel könnte dem Team Orientierung geben bei der Wahl seiner Optionen?

Dabei treffe ich häufig auf einen dieser Fälle:

  • Es gibt kein Ziel, auf das diese Entscheidung einzahlt. Dann lohnt es sich zu fragen: ist das ok so? Oder fehlt da ein Sprint-Ziel, ein Produkt-Ziel, eine gemeinsame Team-Vision? Oder auch nur ein Vorsatz für den Tag?
  • Es gibt ein Ziel, aber es ist nicht attraktiv, nicht erreichbar oder bietet keine Orientierung. Dann könnte der aktuelle Entscheidungsbedarf ein konkreter Treiber sein, dieses Ziel zu verbessern.
  • Es gibt ein eigentlich gutes Ziel, aber keiner denkt daran. Dann könnte es hilfreich sein, das Ziel präsenter zu machen. “Wir hatten vor <einiger Zeit> gemeinsam dieses Ziel formuliert: <Ziel> Wie könnte es uns bei unserer Entscheidungsfindung helfen?”
  • Es gibt ein hilfreiches Ziel, und das Team nutzt es aktiv, z.B. indem es sich fragt: “Welche dieser Optionen bringt uns dem Ziel am besten näher?” Besser könnte es nicht sein. Haken dran! 🙂

Die passende Entscheidungstechnik und der dafür nötige Raum

Nicht alle Entscheidungen sind gleich. Die Fragen, wo wir gemeinsam zum Mittagessen hingehen, ob wir auf eine Micro-Service Architektur umstellen sollen oder oder welche der 15 identifizierten Verbesserungsfelder das Team zuerst angehen sollte, sind sehr unterschiedlich in mehrerlei Hinsicht.

Die Anzahl der Optionen macht einen Unterschied. Man kann z.B. einen Vorschlag annehmen oder ablehnen, sich für eine von 2 oder mehreren Optionen entscheiden oder aus vielen Varianten auswählen.

Die Tragweite: die Restaurant-Wahl für das Mittagessen spielt in 3 Monaten keine Rolle mehr, die Entscheidung für eine Micro-Service Architektur hingegen schon.

Das nötige Commitment: Wieviel „Dranbleiben“ von wie vielen ist nötig, um die Entscheidung umzusetzen. Reicht es, ein paar Befürworter zu haben, oder muss jeder einzelne sich jeden Tag aufs neue aktiv für die Umsetzung der Entscheidung einsetzen?

Die Finalität: wie endgültig ist die Entscheidung? Oder anders formuliert: wie aufwändig wäre es, sich später anders zu entscheiden, nachdem man gemerkt hat, dass die ursprüngliche Entscheidung sich im Nachhinein als ungünstig herausgestellt hat?

Daran misst sich auch die erforderliche Zeit für die Entscheidungsvorbereitug und Meinungsbildung. Die eigentliche Entscheidung ist meist nur noch der formale Schlusspunkt eines Entscheidungsprozesses, der je nach Entscheidung Sekunden, Stunden, Tage oder sogar Wochen dauern kann. Wähle einen plausiblen Rahmen – und passe ihn gerne an, wenn sich im Rahmen des Entscheidungsprozesses Überraschungen ergeben.

Beim Entscheidungsverfahren selbst gibt es eine größere Auswahl an Alternativen zum klassischen Mehrheitsentscheid als dir vielleicht bewusst ist. Nur um dir eine Idee zu geben, nenne ich hier einige, mit denen ich schon Selbst Erfahrungen gesammelt habe:

Schnelle Verfahren:

  • Dot-Voting
  • Fist-to-Five
  • Consensus
  • Zufall

Große Einigkeit anstrebende Verfahren

  • Einstimmigkeit
  • Decider-Protokoll
  • Qualifizierte Mehrheit
  • Multi-Priorisierung
  • Multi-Scoring

Delegierende Verfahren:

  • Teilgruppe (Kommittee)
  • Autorität (Experte)

Wenn Meine ganz persönlichen und nur begrenzt übertragbaren Take-Aways sind: ich versuche, den einfachen Mehrheitsentscheid, das Multi-Scoring und delegierende Verfahren zu vermeiden. Ich habe gute Erfahrungen mit allen schnellen Verfahren gemacht und setze manchmal eines der anderen Verfahren ein. Mich würde sehr interessieren, zu hören, auf welche Verfahren du setzt.

Wenn Du mehr zu den einzelnen Verfahren wissen möchtest, dann wirf doch einen Blick in meinen Artikel „Bitte nicht immer nur abstimmen! – 11 Alternativen zum Mehrheitsentscheid“. Dort findest du nicht nur eine Beschreibung, sondern auch hilfreiche Tipps zu Einsatzbereichen und Fallstricken.

Follow-Up mit der richtigen Mischung aus Commitment und Anpassungsfähigkeit

Was nach der Entscheidung passiert, ist ebenso wichtig wie die Entscheidung selbst.
Besonders, wenn man später immer wieder auf die Entscheidung zugreifen muss und eigenes Verhalten davon abhängt.

So kann es hilfreich sein, manche Arten von Entscheidungen, gerne mit den ausschlaggebenden Gründen, zu dokumentieren. Entweder schriftlich oder durch ein paar Fotos von Whiteboards, die den Sachverhalt verdeutlichen.

Insbesondere bei Entscheidungen, bei denen eine Vielzahl von individuell beurteilten Faktoren eine Rolle spielen, kann es hilfreich sein, die Relevanz der einzelnen Faktoren zu dokumentieren. Ich habe dafür schon im Nachgang zu eigentlichen Entscheidung ein unlimitiertes Dot-Voting auf den möglichen Einflussfaktoren durchgeführt. So konnten die Teilnehmer ausdrücken, welche der vielen Faktoren für ihre Entscheidung ausschlaggebend war.

Viele dieser Maßnahmen im Nachgang dienen dazu, das Commitment zu der Entscheidung hochzuhalten, so dass die Entscheidung auch umgesetzt wird. Und das ist auch gut so.

Aber es gibt auch eine andere Perspektive auf Entscheidungen: wenn das Team etwas Neues lernt, neue Erfahrungen macht, Feedback bekommt, kann es durchaus sein, dass dadurch die Grundlage der Entscheidung in Frage gestellt wird.
Und das ist auch wichtig! Niemand würde an der Entscheidung, auf die breitere Straße abzubiegen, festhalten, wenn er später erfährt, dass der Tunnel, durch den sie führt, gesperrt ist.

Ein Team tut also gut daran, sich auch zu erlauben, seine Entscheidungen bei Bedarf in Frage zu stellen. Das erfordert nicht nur viel Vertrauen und Konfliktfähigkeit – die Punkte 1 und 2 dieses Artikels – sondern auch Mut. Mut, die Entscheidung in Frage zu stellen, in Respekt vor der erfolgten Meinungsbildung.
Hier dürft ihr als Team gemeinsam lernen. Als Scrum Master kannst du deinem Team helfen, indem du transparent machst, wo sie gerade stehen auf der Achse zwischen “starrsinnig an alten Entscheidungen festhalten” und “endloses Diskutieren immer derselben Dinge, weil Entscheidungen von gestern nichts zählen”. Und dass sowohl Commitment für eine einmal getroffene Entscheidung ALS AUCH Flexibilität zur Anpassung an neue Situationen und Erkenntnisse wichtig sind.

Fazit

Gute Team-Entscheidungen sind nicht einfach und doch essentiell, damit ein Team wirklich kraftvoll an einem Strang zieht. Dazu ist ein Repertoire an unterschiedlichen Entscheidungstechniken erforderlich. Vor allem aber basieren alle guten Team-Entscheidungen auf einer soliden kulturellen Basis im Team, geprägt von auf Offenheit basierendem Vertrauen und einer konstruktiven Konfliktfähigkeit. Im Nachgang ist dann eine feines Gespür für die richtige Mischung von Konsequenz und Anpassungsfähigkeit erforderlich.

Was sind deine Learnings zu Team-Entscheidungen? Wie unterstützt du als Scrum Master dein Team bei Entscheidungen? Worauf kommt es an? Es würde mich sehr freuen, von deinen Erfahrungen zu hören.

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