So meisterst du souverän öffentliche Fragerunden in Vorträgen und Seminaren
Wie schaffen es Keynote-Speaker, ihre Zuhörer mit ihren Antworten zu fesseln? Antworten auf spontane Fragen der Zuhörer, die sie vorher nicht kennen konnten?
Diese Frage habe ich mir lange gestellt. Zum ersten Mal habe ich mir diese Frage nach einem Vortrag von Gunther Verheyen im Jahr 2018 auf dem Scrum Day in Stuttgart gestellt. So oft, wie ich ihn in meinen Artikeln zitiere, ist es kein Geheimnis, dass ich ein riesiger Fan von Gunther bin. Ich habe alle seine Bücher und Artikel gelesen und alle seiner Pocket-Classes zu Scrum besucht. Was mich 2018 bei seiner Keynote besonders faszinierte, war seine Art, Fragen zu beantworten. Jede Frage konnte er – scheinbar ohne nachdenken zu müssen – mit einer kleinen Anekdote aus seinem Leben oder einer Erkenntnis aus seiner Arbeit mit Scrum-Teams beantworten.
Gunther ist so ein Keynote-Speaker, der Zuhörer fesselt. Seine Antworten lassen Zuhörer mit offenem Mund zurück. Seitdem habe ich einige Vorträge von Gunther gehört. Den letzten im vergangenen Jahr wieder auf dem Scrum Day. Und wieder war ich fasziniert von seiner Art, Fragen so eloquent und schnell auf den Punkt zu beantworten. Was mir aber diesmal dabei auffiel: Er nutzte ähnliche Anekdoten.
Und wenn du jetzt denkst, das sei „Cheating“, dann muss ich dich enttäuschen.
Es ist kein Betrug, sondern genial!
Was mich zum ersten Tipp bringt, wie auch du mit der Zeit dieses Level erreichen kannst:
Tipp 1: Sammle persönliche Geschichten
In den letzten gut sechs Monaten habe ich versucht, Gunther nachzuahmen.
Ich habe mich hingesetzt und Anekdoten, Einsichten und Lektionen aus meiner Arbeit mit Scrum-Teams aufgeschrieben.
Hier drei Beispiele von meiner Liste:
- Als Product Owner nimmst du im Sprint Review keine User Stories ab. Nur der Kunde kann entscheiden, was wertvoll ist.
- Wenn das Daily Scrum kein Status-Meeting sein soll, dann sollte es sich um die Arbeit drehen und nicht um die Menschen.
- Wenn du feststellst, dass zwei Teams das gleiche Feature entwickeln, dann ist es höchste Zeit für teamübergreifendes Refinement und gemeinsame Planung von Sprints.
Seitdem ich diese Liste mit Anekdoten und Erkenntnissen im Hinterkopf habe, fällt es mir leichter, spontan Fragen in Workshops oder Vorträgen zu beantworten. Wahrscheinlich hat sich Gunther keine Liste gemacht, aber über die Jahre so viele Fragen beantwortet, dass er weiß, welche Geschichten beim Publikum ankommen.
Für alle wie mich, die nicht so viel Erfahrung haben, ist mein Tipp deshalb:
Sammle vor dem Vortrag persönliche Geschichten zum Thema, dann kannst du am Ende Fragen eloquent und anschaulich beantworten.
Natürlich habe ich nicht zu jeder Frage eine passende Geschichte. Was mich zum nächsten Tipp bringt:
Tipp 2: Überlege dir, welche Fragen du nicht beantworten willst
Ich denke, es gibt drei Arten von Fragen:
- Fragen, die du beantworten willst.
- Fragen, deren Antwort du auf später verschieben willst.
- Fragen, die du nicht beantworten kannst.
Antwort auf später verschieben
Für die Fragen, die du beantworten willst, kannst du die gesammelten persönlichen Geschichten sehr gut nutzen. Manchmal werden in Workshops und Vorträgen aber auch Fragen gestellt, die man nicht richtig versteht, die sehr situationsspezifisch sind, sich vom Thema entfernen oder es sind mehrere Fragen in einer Frage verpackt. Sich solchen Frage vor allen Teilnehmern zu widmen, kann dazu führen, dass man einige Zuhörer verliert, da die Klärung länger dauert oder die Antwort für den Großteil nicht relevant ist.
In solchen Situationen kann es Sinn machen, die Frage für den Moment zurückzustellen.
Ich antworte dann zum Beispiel so:
„Das ist eine spannende Frage. Gleichzeitig ist sie etwas spezifisch und ich möchte nicht alle mit meiner Antwort langweilen. Wollen wir deine Frage in der Pause im Detail besprechen? Ich glaube, die Beantwortung verdient mehr Zeit. Passt das für dich?“
Ich hoffe, du kannst erkennen, wie wichtig es mir ist, dem Fragenden zu signalisieren, dass ich seine Frage beantworten werde, im Moment aber nicht der passende Rahmen dafür ist.
Fragen, die du nicht beantworten kannst
Und dann gibt es Fragen, die ich nicht beantworten kann. In einem „Applying Professional Scrum“-Training* wurde ich beispielsweise einmal gefragt:
„In unserem Unternehmen arbeiten wir ISO-konform nach der Norm 27001 und unsere Kunden erwarten, dass wir nach Automotive SPICE arbeiten. Wie lässt sich das mit einem transparenten Backlog, der aus User Stories besteht, vereinen?“
Meine Antwort:
„Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung. Aber wahrscheinlich sollte ich das. Lass mich etwas recherchieren und ich berichte dir später, was ich herausgefunden habe.“
Eine ähnliche Antwort könnte auch lauten:
„Ich habe wirklich nicht die geringste Ahnung. Hat sonst jemand Erfahrung mit diesem Thema?“
Zuzugeben, eine Frage spontan nicht beantworten zu können, fällt mir nicht leicht. Als Scrum-Trainer möchte ich in einem Scrum-Training natürlich nicht inkompetent oder verunsichert wirken. Ich setze aber darauf, dass die Teilnehmer in meinen Trainings meine Ehrlichkeit zu schätzen wissen.
Wenn du den Entschluss gefasst hast, eine Frage zu beantworten, dann bringt uns das zu meinem letzten Tipp:
Tipp 3: Strukturiere deine Antwort
Die Struktur, die ich für meine Antworten nutze, habe ich 2019 von Simon Reindl in meinem „Train-The-Trainer“-Workshop für das „Professional Scrum Master“-Training gelernt. Das Vorgehen ist speziell für Scrum-Trainings entwickelt, du kannst es aber auch für Vorträge oder andere Workshops nutzen.
Die Antwort-Struktur besteht aus vier Schritten.
- Schritt 1: Wiederhole die Frage. Dies verschafft dir Zeit, deine Antwort zurechtzulegen.
- Schritt 2: Beantworte die Frage mit einem „Mic Drop“. (Dazu komme ich gleich noch.)
- Schritt 3: Füge der Antwort ein Beispiel oder eine persönliche Geschichte hinzu. (Die Betonung liegt hier auf dem Wort „eine“.)
- Schritt 4: Warte, ob sich Rückfragen ergeben.
Du fragst dich bestimmt, was mit „Mic Drop“ gemeint ist?
Mic Drop: So behältst du die Aufmerksamkeit
Mit „Mic Drop“ ist der Teil einer Antwort gemeint, der für Stille im Raum sorgt. Dies gelingt, in dem du zunächst nicht direkt auf die Frage antwortest, sondern z. B. mit einer Erkenntnis beginnst, auf die du dann deine Antwort aufbauen kannst.
Nehmen wir zum Beispiel diese Frage, welche mir letzte Woche in einem Training gestellt wurde:
„Was mache ich, wenn die Entwickler dem Scrum-Prozess nicht folgen?“
Ein möglicher Mic-Drop:
„Bei Scrum geht es mehr um Verhaltensweisen als um einen stringenten Prozess.“
Anstatt direkt konkrete Praxis-Tipps aufzuzählen, die dem Fragenden helfen, gebe ich seiner Frage zunächst in einen allgemeineren Kontext, um so möglichst allen Teilnehmern eine hilfreiche Einsicht mitzugeben. Ein weiterer Effekt: So werden die Teilnehmer mit einer neuen Erkenntnis oder einem bisher unbekannten Gedankengang in der Fragerunde überrascht.
Nachdem du die entstandene Stille einen Moment im Raum stehen lässt, kannst du dann mit Schritt 3 fortfahren.
Das Training für Trainer: „Training from the Back of the Room” mit Simon Flossmann
Hier lernst du in einem Intensiv-Training, wie du Trainings und Seminare gibst, die Wissen nachhaltig vermitteln und deine Teilnehmer:innen begeistern.
Mehr Infos und eine Übersicht aller Termine findest du hier: TBR-Trainings mit Simon Flossmann
Vorher Zurechtlegen unbedingt erlaubt: Strukturierte Antworten, persönliche Geschichten und Auswege bei schwierigen Fragen
Auch wenn es anfänglich nach einem weiten Weg aussehen mag: Wenn du die Tipps berücksichtigst, wirst du merken, wie du mit der Zeit immer geübter darin wirst, souverän die Fragen aus dem Plenum zu beantworten.
Du wirst außerdem feststellen, dass es dich im Vorfeld beruhigt, verschiedene Formulierungen schon im Hinterkopf zu haben, um schwierige oder abdriftende Fragen erst einmal zurückzustellen oder auch, um Fragen, auf die du keine Antwort hast, an die restlichen Zuhörer weiterzugeben.
Denke immer daran, dass möglichst die gesamte Gruppe einen Mehrwert aus deinen Antworten auf Einzelfragen ziehen sollte. Dann ist dir bis zum Schluss die Aufmerksamkeit sicher.
*Wenn du oben auf den Link zum „Applying Professional Scrum“-Training geklickt hast und dich fragst, warum dort keine Termine gelistet sind, dann liegt das daran, dass ich das Training nur für Teams und nur in-house anbiete. Wenn das für dein Unternehmen interessant ist, dann schreibe mir eine Nachricht.
Fragen zum Thema, Hilfe oder einfach Austausch gewünscht?
Wendet euch gerne per Mail direkt an Simon.