4 Einsichten in Scrum und Facilitation, die dir bei der PSFS-Prüfung helfen
Im August hat Scrum.org ein neues Assessment zusammen mit einem neuen Kurs veröffentlicht. Das Professional-Scrum-Facilitation-Skills-Assessment (PSFS) hilft dir, dein Facilitation-Wissen zu evaluieren.
Ich habe bei der Vorbereitung mitgewirkt und kann deshalb wertvolle Einsichten in Scrum und die Facilitation mit dir teilen. Wenn du vorhast, dich an die Prüfung zu wagen, dann lies weiter.
Facilitation ist eine Fähigkeit für das gesamte Scrum Team
Eines gleich vorweg: Der Scrum Master ist kein Facilitator!
Vor einigen Jahren begleitete ich die Sprint Retrospektive eines Teams. Die Diskussionen zwischen den Entwicklern und dem Product Owner waren hitzig. Seit einer Stunde kam es zu keiner umsetzbaren Verbesserung. Deshalb machte ich einen Vorschlag. Sofort warf mir ein Entwickler vor, dass ich als Moderator neutral bleiben müsste. Am besten sollte ich mich ganz raushalten.
Diese Erfahrung zeigt das weitverbreitete Missverständnis auf, dass der Scrum Master eine neutrale Person sein muss. Dem ist nicht so. Der Scrum Master ist ein Mitglied des Scrum Teams. Seine Verantwortung besteht darin, den empirischen Prozess zu facilitieren, der Scrum zugrunde liegt. Ferner facilitieren Scrum Master die Interaktionen zwischen Scrum Team und Stakeholdern, damit sie den empirischen Ansatz für komplexe Arbeit verstehen und umsetzen können. Scrum Master folgen also einer Agenda und sind somit nicht absichtslos. Professionelle Facilitatoren sind hingegen absichtslos. Somit können Scrum Master zwar Facilitation-Fertigkeiten nutzen, sie sind aber niemals reine Facilitatoren.
Facilitation ist eine Fähigkeit. Dieser können sich Scrum Master bedienen, um ihrem Team zu helfen, erfolgreich zu sein.
Die Aktualisierung des Scrum Guides hält dies auch fest: Während die Version aus dem Jahr 2017 noch davon sprach, dass Scrum Master die Durchführung von Scrum Events bei Bedarf oder Anfrage unterstützen können, sieht das inzwischen anders aus. Im Scrum Guide von 2022 steht nun: Scrum Master stellen sicher, dass alle Events von Scrum stattfinden, positiv und produktiv sind und innerhalb der Time-Box bleiben. Wie sie dies erreichen – ob durch Facilitation, Coaching oder anders – bleibt ihnen überlassen.
So wenig, wie der Scrum Master eine Retrospektive facilitieren muss, so wenig muss der Product Owner das Sprint Planning facilitieren. Bei der Planung des Sprints stellt er nur sicher, dass die Teilnehmer darauf vorbereitet sind, über die wertvollsten Product-Backlog-Einträge zu sprechen. Wie er dies erreicht, ist ihm freigestellt. Ich bin davon überzeugt, dass gute Facilitation-Fertigkeiten ihm dabei helfen können.
Die Einsicht, die du daraus ziehen solltest, lautet: Facilitation ist eine Fähigkeit, die ein erfolgreiches Team benötigt. Sie muss aber nicht zwingend nur von einer Person praktiziert werden.
Nicht die Facilitation hat Vorrang, sondern Scrum
Als Scrum Master kennen wir alle diese Situationen:
- Inmitten des Sprints kommt es zu Störfällen in der Produktiv-Umgebung. Da die Lösung des Problems keinen Aufschub duldet, entsteht viel ungeplante Arbeit für das Team.
- Eigentlich läuft diesmal der Sprint nach Plan. Noch ein Tag im Sprint und bei den zwei offenen Tickets fehlen nur noch einige Tests. Da erreicht die Entwickler vor dem Daily Scrum die Nachricht, dass sich Markus, der einzige Tester im Team, krankmelden muss.
- Als der Product Owner mit hochrotem Kopf den Teamraum betritt, weiß das übrige Team sofort, dass beim Kundentermin etwas schieflief. Mit gedrückter Stimme erklärt Michael, dass das erklärte Ziel „die API-Anbindung für Maklerportal bereitstellen“ nicht mehr weiterverfolgt werden sollte. Der Kunde hat sich für die Lösung eines Drittanbieters entschieden.
Wie helfe ich in einer solchen Situation meinem Team? Sollte ich ein 1-2-4-All vorschlagen, einen Rede-Token einsetzen oder darauf achten, dass die Time-Box eingehalten wird? Alle erfahrenen Scrum Master werden dir hier sagen, dass die Auswahl der richtigen Facilitation-Methode nicht das Wichtigste ist. Es geht primär darum, dass jeder versteht, was Scrum in diesen Situationen fordert. Erfahrene Scrum Master erleichtern die Lösung von Problemen. Deshalb verlieren sie den Zweck der Scrum Events und das Commitment, welches das Team mittels der Artefakte eingeht, niemals aus den Augen.
Die Einsicht, die aus diesen Situationen entstehen sollte: Facilitation-Techniken dienen niemals dem Selbstzweck, sie vereinfachen es dem Team, den Zweck von Scrum zu erfüllen.
Scrum hat immer Vorrang.
Jede Facilitation-Technik dient einem bestimmten Zweck
Wenn wir den Zweck der Scrum Events kennen, verstehen wir, welche Commitments das Scrum Team eingeht. Und wenn wir begreifen, wie die unterschiedlichen Verantwortungen uns helfen, Entscheidungen zu treffen, dann stellen wir uns die Frage: Wie können wir unserem Team helfen, diese möglichst einfach zu erreichen?
Hierbei können uns jetzt Facilitation-Techniken helfen. Diese Techniken können wir nach ihrem Ziel gruppieren. Dadurch erhalten wir eine Tool-Box, aus welcher wir uns in jeder Situation passend bedienen können.
Hier einige Beispiele:
- Verbindungen mit den Inhalten und den anderen Menschen eingehen: Icebreaker
- Optionen erzeugen: Brain-Writing oder 1-2-4-All
- Optionen gruppieren: Affinity-Mapping
- Optionen ordnen: White-Elephant-Prinzip oder Buy-A-Feature
- Optionen wählen: Dot-Voting
- über Optionen abstimmen: Fist-of-Five oder römisches Voting
Zu welcher Einsicht verhilft uns die Beschäftigung mit den unterschiedlichen Anwendungsfällen? Die Wahl der Facilitation-Technik sollte erst am Ende getroffen werden.
Die richtige Reihenfolge, wenn wir den Prozess der Entscheidungsfindung im Scrum Team unterstützen, lautet somit:
- Was verlangt Scrum in dieser Situation? Was ist etwa der Zweck, den es in diesem Event zu erreichen gilt?
- Welchem Ziel sollte die Facilitation dienen?
- Welche Facilitation-Technik erfüllt dies?
Dieses Vorgehen unterrichte ich auch im „Professional Scrum Facilitation Skills“-Training, einem eintägigen, interaktiven Scrum Training. In diesem Training heben die Teilnehmenden ihre Facilitation-Fertigkeiten auf ein neues Level und erleichtern dadurch den Teamerfolg in der Zukunft.
Die Anwendung von Facilitation-Prinzipien verbessert Scrum
Was haben Facilitation und Scrum gemeinsam?
In Scrum geht es darum, Teams zu helfen, komplexe Probleme zu lösen und gleichzeitig Wert für die Nutzer zu schaffen. Scrum fußt dabei auf dem Prinzip der empirischen Prozesskontrolle. Diese besteht aus drei Säulen: Transparenz, Überprüfung und Anpassung. Bei Facilitation geht es darum, die Zusammenarbeit durch gemeinsames Verständnis und partizipative Entscheidungsfindung zu verbessern.
Der gemeinsame Nenner lautet: Transparenz. Denn Transparenz in Scrum bedeutet eben nicht nur Sichtbarkeit, sondern vielmehr gemeinsames Verständnis.
Die Anwendung von Facilitation-Prinzipien hilft Scrum Teams, dieses gemeinsame Verständnis zu erlangen.
Wenn eine Person im Team damit zu kämpfen hat, andere Sichtweisen mit der eigenen zu verbinden, ist die Transparenz beschränkt. Nicht jeder im Team hat das gleiche Verständnis für die Situation. Wer kennt das nicht: Der Product Owner bittet dich, ein Gespräch mit zwei anderen Entwicklern im Team zu moderieren, die sich in einem Konflikt befinden.
Es ergibt sich nun eine Vielzahl von Möglichkeiten für dich:
- Du verweist darauf, dass Scrum Teams sich selbst managen und lässt die Dinge ihren Lauf nehmen.
- Um neutral zu bleiben, lehnst du das Gesuch ab und eskalierst die Angelegenheit an die disziplinarische Führungskraft.
- Du facilitierst ein Meeting mit dem gesamten Team. Im Termin erhält jedes Teammitglied die Möglichkeit, die unterschiedlichen Perspektiven zu erkunden und ein gemeinsames Verständnis für die Ideen der anderen zu entwickeln. Erst dann entscheidet das Team, wie es in diesem Konflikt weitergehen soll.
Du kannst die Umsetzung von Scrum verbessern, indem du versuchst Transparenz zu schaffen. Dabei kannst du dich von dem Facilitation-Prinzip „gemeinsames Verständnis herstellen“ leiten lassen.
Die Einsicht lautet: Facilitation-Fertigkeiten verbessern die Umsetzung von Scrum im Team. Denn Scrum und Facilitation konzentrieren sich beide auf eine Denkweise, die auf Transparenz, Fokussierung, Respekt und Lernen beruht.