Stakeholder-Kommunikation: So erteilst du als Product Owner konfliktfrei Absagen
Wie häufig meinen wir „Nein” und möchten einen Vorschlag zurückweisen und wie häufig sprechen wir diese Absage dann tatsächlich klar aus?
Am Ende meines Trainings für fortgeschrittene Product Owner müssen die Teilnehmer auf eine Anfrage des Geschäftsführers antworten. Du wärst erstaunt, wie viele Teilnehmer zwar Nein meinen, aber das Wort „Nein“ nicht über die Lippen bringen.
Nein meinen und Nein sagen sind also zwei unterschiedliche Dinge.
Wir alle kennen die Vorteile einer klaren Absage, eines Neins. Es ist notwendig, damit sich das Team auf das Wesentliche konzentrieren kann. Nein sagen sorgt dafür, dass das Product Backlog kurz bleibt. Nein sagen ermöglicht es, die Zeit frei einzuteilen. Nein zu sagen ist wohl eine der wichtigsten Fähigkeiten, mit der ein Product Owner sein Team unterstützen kann.
Allerdings birgt das Wort „Nein“ auch ein großes Risiko. Durch ein unbedachtes Nein kann eine harmlos wirkende Anfrage schnell zu einem Konflikt eskalieren. Durch ein unbedachtes Nein ist das Vertrauen der Stakeholder vielleicht auf lange Zeit verspielt. Ein unbedachtes Nein kann deiner Karriere also auch schaden.
Ehrlich gesagt: Ich versuche bis heute, das Neinsagen zu meistern. Je mehr ich mich damit beschäftige, desto besser gelingt es mir. Gleiches sehe ich auch bei den Product Ownern, die ich in den letzten Jahren begleitet habe.
Was ich den Teilnehmern dabei ans Herz lege, ist dieses 6-schrittige Vorgehen:
1. Relevanz der Stakeholder-Anfragen einordnen – haushalte mit deiner Zeit
Die erste Frage, die du dir stellen solltest, lautet:
- Mit wem sprichst du?
- Woher kommt die Anfrage?
- Welches Interesse hat die Person?
- Welchen Einfluss hat die Person?
Zur Beantwortung kannst du die Stakeholder-Matrix nutzen.
Hier die vier Quadranten im Detail:
- Promotoren sind Personen, die ein großes Interesse am Produkt haben und einen großen Einfluss auf seine Gestaltung ausüben, zum Beispiel Kunden, Investoren, wichtige Nutzer.
- Verteidiger sind Personen, die einen erheblichen Anteil am Produkt haben und einen mäßigen oder geringen Einfluss auf das Produkt ausüben, zum Beispiel regelmäßige Nutzer des Produkts.
- Verborgene sind Personen, die einen erheblichen Einfluss auf das Produkt haben, aber nicht wesentlich daran beteiligt sind. Dazu könnte ein Teamleiter gehören, dem die Mitglieder des Scrum-Teams unterstellt sind, ein Enterprise-Architekt oder UX-Researcher, dessen technische Entscheidungen vom Team befolgt werden müssen, oder ein wichtiger Kunde anderer Produkte des Unternehmens.
- Das Publikum ist die Gruppe von Menschen, die weder ein Interesse am Produkt haben noch Einfluss auf die Entwicklung nehmen können. Hierbei könnte es sich um jede Person in eurem Unternehmen handeln, die in keine der obigen drei Kategorien fällt.
Für eine Anfrage eines „Verteidigers“ solltest du wahrscheinlich mehr Zeit investieren als für eine Anfrage aus dem „Publikum“. Der erste Schritt hilft dir zu entscheiden: Sollte der nächste Schritt eine E-Mail sein? Sollte es ein Telefonat sein? Oder sollte es ein persönliches Treffen sein?
2. Verständnis der Anfrage sicherstellen – gib Missverständnissen keine Chance
Worum handelt es sich bei der Frage oder Bitte? Zu diesem frühen Zeitpunkt sollte dein Credo unbedingt lauten: Versuche die Anfrage genau zu verstehen, bevor du darauf antwortest.
Erst wenn du die Anfrage so gut verstanden hast, dass es zu keinen Missverständnissen mehr kommt, solltest du dir Gedanken machen, wie du antwortest. Es gibt wohl nichts Schlimmeres, als einem Stakeholder vorschnell die Tür vor der Nase zuzuschlagen. Dies kann leicht geschehen, wenn du die Bitte nicht richtig verstanden hast. Missverständnisse können Beziehungen langfristig beschädigen.
So gelingt es dir:
Nimm erst alle Informationen auf, die dir gegeben werden. D.h. höre gut zu oder lies genau, was der Stakeholder an dich heran trägt.
Stelle erst danach Fragen, um Unklarheiten oder Mehrdeutigkeiten aus dem Weg zu räumen. Hier mögliche Fragen, die dabei hilfreich sind:
- Kannst du mir helfen, mir ein genaueres Bild davon zu machen, wie deine Idee in etwa aussehen wird?
- Wie hoch ist die Priorität für dich im Vergleich zu anderen Arbeiten, die wir gerade machen? Sollen wir das jetzt angehen oder genügt es auch im nächsten Sprint?
- Wie zeitkritisch ist diese Idee? Sollten wir sie erst im nächsten Jahr umsetzen, welche Marktchance hätten wir dann vertan?
- Was begeistert dich am meisten an dieser Idee?
- Wie passt diese Idee deiner Meinung nach in unsere Strategie – oder ist dies eine neue Richtung, die wir deiner Meinung nach einschlagen sollten?
Ganz wichtig zum Schluss: Wiederhole die Bitte des Stakeholders in deinen eigenen Worten („Habe ich also richtig verstanden, dass …”). Nur so kannst du sicherstellen, dass du sie wirklich verstanden hast.
3. Fälle Zu- oder Absagen immer nur auf der Basis fundierter Entscheidungen – nach unvoreingenommener Abwägung
Die meisten Entscheidungen treffen wir innerhalb kürzester Zeit aus dem Bauch heraus. Das ist evolutionär bedingt und sehr wichtig, um in Gefahrensituationen schnell reagieren zu können. Stehen wir vor einem Raubtier, ist keine Zeit für Pro- und Kontralisten.
Bei wichtigen Unternehmensentscheidungen sollten wir uns aber mehr Zeit nehmen und fundiert abwägen. Dazu müssen wir unser Gehirn davon abhalten, auf den Bauch zu hören. Wir müssen also aufgeschlossen bleiben:
Hier 5 Abwägungen, die dir für eine nüchterne Betrachtung eines Vorschlags helfen können:
- Würde dieser Vorschlag zu keinem Drama und keiner besonderen Aufregung im Team führen: Wäre es objektiv betrachtet dann eine gute Idee?
- Welches Ablaufdatum hat die Idee? Muss sie jetzt umgesetzt werden?
- Was ist der mögliche Nachteil, wenn die Idee scheitert? Was ist der potenzielle Vorteil, wenn sie gelingt?
- Steht der Vorschlag im Einklang mit unserer Geschäfts- oder Produktstrategie? Oder entfernt er uns davon?
- Wie wahrscheinlich ist es, dass das Unternehmen bessere Zahlen schreibt, wenn die Idee umgesetzt wird?
Auch wenn dein Bauch bereits klar zu einer Richtung tendiert, versuche das aktiv auszublenden und offen zu bleiben. Mach dir außerdem bewusst: „Ja“ und „Nein“ sind nicht die einzigen Möglichkeiten. „Später“ oder „Jetzt nicht“ können auch Optionen sein.
Hast du dich schließlich entschieden, geht es darum, die Nachricht mitzuteilen, möglichst ohne dass das Verhältnis zum Stakeholder negativ beeinträchtigt wird.
4. Entscheidungen mitteilen ohne Konflikte – wie du mit der Art deiner Kommunikation das Verständnis des Stakeholders gewinnst
Egal, ob du schließlich eine Zu- oder Absage überbringst: Motiviere deine Antwort immer aus der Perspektive des Stakeholders, um ihm das Verständnis für deine Entscheidung so leicht wie möglich zu machen.
Neben der Klassifizierung des Stakeholders durch die Stakeholder-Matrix kann dir hier auch eine Einschätzung seines Persönlichkeitstyps helfen.
Vor allem bei einer Absage oder nur eingeschränkten Zusage geht es um die Frage: Wie möchte der Stakeholder aus seiner persönlichen Sicht die Antwort erhalten, damit er sie nachvollziehen kann und sich nicht vor den Kopf gestoßen fühlt?
Helfen ihm vielleicht Fakten und Daten, um die Antwort zu verstehen und als fundierte Entscheidung anzuerkennen? Oder hilft ihm das große Ganze, um die Antwort einordnen zu können?
Um hier eine bewusste Entscheidung zu fällen, kann das DISG-Modell helfen. Es ist ein nützliches Werkzeug, um verschiedene Persönlichkeitstypen besser zu verstehen und die Kommunikation gezielt anzupassen.
Die Abkürzung DISG steht für vier grundlegende Persönlichkeitstypen:
- D – Dominant: direkt, wettbewerbsorientiert, ergebnisorientiert. Dieser Typ bevorzugt klare Fakten, Lösungsvorschläge und direktes Feedback.
- I – Initiativ: begeisterungsfähig, kontaktfreudig, optimistisch. Dieser Typ schätzt Anerkennung, Beziehungsaufbau und eine positive Atmosphäre.
- S – Stetig: ruhig, geduldig, teamorientiert. Dieser Typ legt Wert auf Sicherheit, Harmonie und gute zwischenmenschliche Beziehungen.
- G – Gewissenhaft: sachlich, analytisch, perfektionistisch. Dieser Typ bevorzugt Daten, logische Argumente und eine strukturierte Herangehensweise.
Obwohl die meisten Menschen Anteile verschiedener Typen in sich vereinen, neigen die meisten zu einem dominanten Persönlichkeitsmuster. Durch genaue Beobachtung der Verhaltensweisen und Vorlieben deines Gegenübers kannst du seinen vorherrschenden Typ besser einschätzen. Eine dominante Person beispielsweise reagiert oft besser auf direkte und faktenbasierte Argumente mit konkreten Lösungsvorschlägen. Beim stetigen Typ ist hingegen ein geduldiger und harmonischer Umgangston ratsam.
Deine Kommunikation an den Persönlichkeitstyp deines Gegenübers anzupassen, erhöht die Chance, dass sie oder er deine Position versteht.
5. Nein sagen – zu einer Absage gehört immer eine passende Begründung
Hier drei mögliche Antwortszenarien, in denen eine Absage oder Einschränkung gut begründet wird:
1. Nein. Aus folgendem Grund kann die Idee nicht umgesetzt werden:
- Geringer ROI: Der Arbeitsaufwand wird sehr hoch sein, der Nutzen gering.
- Strategisch unpassend: Diese Idee unterstützt nicht die breitere Strategie.
- Zu risikoreich: Die Wahrscheinlichkeit ist zu groß, dass wir scheitern und damit dem Unternehmen schaden.
- Schlechte Produkterfahrung: Dies wird die Produkterfahrung der Nutzer beeinträchtigen, ohne dass ein ausreichender Nutzen entsteht.
- Hohe Kosten: Die Kosten für Entwurf, Erstellung, Einführung und Wartung sind einfach zu hoch.
2. Ja, aber nicht jetzt, weil … Stimmst du mir zu?
- Nimm das Product-Backlog zur Hilfe und geht es gemeinsam durch.
- Zeige das Sprint-Backlog des aktuellen Sprints mit Verweis auf das nächste Sprint-Planning.
- Wiederhole die Strategie und unter welchen Umständen diese Idee gut passt.
- Erkläre, warum diese Idee nicht dringend umgesetzt werden muss.
Ja. Aber dazu müssen wir … anpassen.
- bestehende Prioritäten
- die Releasetermine
- die Anzahl der Entwickler im Team
- die Zusammenarbeit mit anderen Teams
Nachdem du die Nachricht kommuniziert hast, vergiss nicht den letzten Schritt:
6. Verständnis sicherstellen – Feedback einholen und Reaktionen beobachten
Wenn du deine Absage erteilt und gut begründet hast, ist dein Part aber noch nicht beendet.
Du solltest dich fragen:
- Versteht der Stakeholder die Entscheidung?
- Wie ist seine Reaktion?
- Willst du jetzt diskutieren?
- Oder verschiebst du die Diskussion auf später?
Nein zu sagen, ist in vielen Situationen nicht einfach.
Allerdings macht Übung auch hier den Meister. Wenn du diese sechs Schritte befolgst, wirst du besser darin, den Ablauf zu automatisieren und ohne, dass Spannung entsteht, Nein zu sagen. Außerdem wirst du das Vertrauen und die Zusammenarbeit mit deinen Stakeholdern und deinem Team langfristig stärken.
Wenn du nach weiterer Unterstützung bei der Kommunikation mit Stakeholdern suchst, dann wirf einen Blick auf das „Professional Scrum Product Owner – Advanced“-Training. Dort helfen Peter und ich dir in zwei Trainingstagen dabei, dein Stakeholder-Management zu verbessern. Neben Neinsagen lernst du auch, welche Entscheidungen du delegieren solltest und wie du den Wert von Product-Backlog-Einträgen ermittelst.