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Messen in der Produktentwicklung: Wie wir Annahmen und Hoffnung durch Wissen ersetzen

Metriken sind in der Produktentwicklung unverzichtbar

Rund 75 % der Softwareprojekte scheitern, weil sie entweder länger dauern als geplant oder mehr kosten als erwartet (Quelle: Heise.de). Ein entscheidender Grund dafür ist, dass sich viele Teams auf Bauchgefühl statt messbare Daten verlassen.

Doch woran erkennen wir, ob wir auf dem richtigen Weg sind? Indem wir messen!

Messen wir nicht, haben wir keine Objektivierung in der Frage, ob wir das Richtige liefern oder ob wir zeitlich im Plan sind. Anstatt uns auf unser Gefühl zu verlassen und uns tastend fortzubewegen, wäre es doch viel besser, zu sehen, wo wir stehen und frühzeitig zu erkennen, sobald etwas schief läuft.

Wert und Adaptivität müssen messbar sein! Denn sonst haben wir keine Möglichkeit, objektiv zu beurteilen, ob wir uns auf unser Ziel zubewegen oder nicht. (Ich empfehle an dieser Stelle das Training „Metriken in der Produktentwicklung“ meiner Kollegen Niklas Link und Daniel Westermayr.)

Lernen aus einem echten Beispiel

Vor einigen Jahren war ich Teil eines crossfunktionalen Entwicklerteams, das die Suchfunktion einer App verbessern wollte. Wir fragen uns, wie wir das Einkaufserlebnis für die Kudnen weiter verbessern können. Eine daraus abgeleitete Hypothese war: Wenn wir die Kunden besser auf die Suchfunktion hinweisen, finden sie schneller das passende Produkt und kaufen es.

Wir führten Kundeninterviews, analysierten Daten und achteten penibel auf die iOS-Styleguides. Basierend darauf entwickelten wir zwei Prototypen, auf die wir sehr stolz waren. Doch nach dem Release passierte das Unerwartete: Die Conversion-Rate verschlechterte sich drastisch.

Wir analysierten die Situation und entwickelten neue Varianten – darunter eine, die gegen alle Erkenntnisse und Designprinzipien verstieß. Im anschließenden A/B-Test zeigte sich: Genau diese Version war die erfolgreichste! Hätten wir nicht gemessen, wären wir bei einer Lösung geblieben, die zwar gut durchdacht erschien, aber den Kunden nicht half. Denn das, was der Kunde uns im Interview sagt, kann sich sehr davon unterscheiden, was er wirklich macht bzw. möchte.

Was ist Wert eigentlich?

Diese Frage beantwortet Simon Flossmann in seinem Artikel so gut, dass ich darauf hier nicht im Detail eingehen werde:
Was jeder Product Owner über Wert wissen muss: 3 Mythen und Warnungen

Effektivität vs. Effizienz: Was ist wichtiger?

Bevor wir Metriken auswählen, müssen wir klären, was wir eigentlich herausfinden wollen. Anschließend sollten wir uns über folgendes klar werden: Geht es um Effizienz oder Effektivität?

  • Effektivität misst, ob wir die richtigen Dinge tun – also echten Wert liefern.
  • Effizienz zeigt, ob wir Aufgaben möglichst schnell und ressourcenschonend umsetzen.

Viele Unternehmen optimieren nur auf Auslastung und Geschwindigkeit, ohne zu prüfen, ob sie überhaupt sinnvolle Features liefern (Effektivität).

Die Teams, mit denen ich bisher gearbeitet habe, hatten oft keinen direkten Einfluss darauf, was entwickelt werden soll. Dennoch war es immer hilfreich, Metriken zur Effektivität zu erfassen, um faktenbasierte Diskussionen zu ermöglichen.

Wer nur effizient ist, produziert schnell – aber nicht zwangsläufig das Richtige.

Mehr Features bedeuten nicht automatisch mehr Wert

Ein Feature, das niemand nutzt, ist nicht nur wertlos – es verursacht sogar Kosten. Entwicklung, Wartung und Komplexität steigen, ohne dass Kunden davon profitieren.

Trotz Datenanalysen, Kundenbefragungen und anderen Methoden wissen wir eigentlich immer erst nach der Implementierung, ob ein Feature wirklich Wert schafft. Deshalb sollten wir neue Features immer als Hypothesen betrachten und mit möglichst geringem Aufwand testen.

Hier spielen agile Herangehensweisen ihre Stärken aus: In kurzen Zyklen können wir Features umsetzen, messen und auf Basis der Ergebnisse weiterentwickeln oder verwerfen. Ich implementiere eine Hypothese, beobachte die Metriken und ziehe daraus die nächsten Schritte.

Das bedeutet auch: Wir brauchen mind. eine klare Metrik, um Veränderungen zu bewerten – idealerweise aber mehrere Metriken, um Nebenwirkungen zu erkennen.

Die gewählten Metriken sollten auch nicht isoliert betrachtet werden, da sie sich teilweise gegenseitig beeinflussen können. So kann zum Beispiel eine erhöhte Geschwindigkeit bei der Auslieferung die Qualität beeinflussen. Aber um zu bemerken, ob sie sich beeinflussen, muss ich mit dem Messen beginnen.

Lead-Time: Der erste Schritt zum Messen

Eine Metrik, die für mich unverzichtbar ist, ist die Lead-Time. Sie zeigt, wie lange es aus Kundensicht dauert, bis ein Wunsch erfüllt wird.

  • Lead Time: Zeit von der Anforderung (z. B. Kunde stellt eine Anfrage) bis zur Auslieferung.
  • Cycle Time: Zeit von der tatsächlichen Bearbeitung bis zur Fertigstellung.

Eine kurze Lead-Time bedeutet kurze Feedback-Zyklen und das ist essentiell für schnelles Lernen. Denn wenn wir zu lange für die Umsetzung brauchen, können wir unsere Annahmen nicht schnell genug validieren.

Fazit: Messen ist der Schlüssel zu besseren Entscheidungen

Erfolgreiche agile Teams verlassen sich nicht auf Bauchgefühl – sie messen! Definiere klare Metriken für dein Umfeld und sorge dafür, dass du die richtigen Daten erfasst.

Starte mit wenigen, aber wirkungsvollen Kennzahlen. Überlege dir im Vorhinein, was du eigentlich messen möchtest. Beginne z.B. mit der Lead-Time und einer Effektivitäts-Metrik (z.B. der Feature Adoption Rate oder der Kundenzufriedenheit).

Setze nicht nur auf Effizienz! In der Effektivität liegt der größte Hebel für den langfristigen Erfolg.

Wie können wir messen, ob wir das Richtige tun? (Effektivität)

  • Anzahl der Kundenbeschwerden:
    Zeigt, wie oft Kunden Probleme melden. Eine steigende Zahl kann auf Qualitäts- oder UX-Probleme hinweisen.
  • Kundenzufriedenheit (CSAT, NPS, App-Bewertungen):
    Misst, wie zufrieden Kunden sind und ob sie das Produkt weiterempfehlen würden.
  • Conversion-Rate:
    Gibt an, wie viele Nutzer eine gewünschte Aktion ausführen. Eine niedrige Rate kann auf UX-Probleme oder unattraktive Angebote hindeuten.
  • Feature Adoption Rate:
    Misst, wie viele Nutzer ein neues Feature tatsächlich verwenden. Eine niedrige Rate kann auf fehlende Kommunikation oder mangelnden Nutzen hinweisen.
  • Customer Retention Rate:
    Zeigt, wie viele Kunden langfristig beim Produkt bleiben. Eine hohe Rate kann für Mehrwert und Zufriedenheit sprechen.

Wie können wir messen, ob wir das Richtige richtig tun? (Effizienz)

  • Flow Efficiency:
    Das Verhältnis von reiner Arbeitszeit zu Wartezeit in einem Prozess.
  • Work in Progress (WIP):
    Zeigt, wie viele Aufgaben gleichzeitig bearbeitet werden – zu viel WIP kann Engpässe erzeugen.
  • Backlog-Größe:
    Ein großes Backlog kann auf ineffizientes Produktmanagement oder mangelnde Priorisierung hindeuten.
  • Durchsatz (Throughput):
    Misst, wie viele Aufgaben pro Sprint oder Woche abgeschlossen werden.
  • Anzahl Bugs bzw. Escape Defects:
    Erfasst, wie viele Fehler nach der Entwicklung entdeckt werden.
  • Systemverfügbarkeit (Uptime):
    Gibt an, wie stabil und zuverlässig ein System läuft.

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