Chemiker spritzt Serum in Blumenerde einer jungen Pflanze.

Eine andere Art zu führen: Catalyst Leadership im Fokus

Eine Sache, die uns die letzten Jahre gelehrt haben: Wir müssen flexibel auf Veränderungen reagieren! Es hat wohl erst einer globalen Pandemie bedurft, damit viele Organisationen erkannt haben, wie wichtig es ist, als Organisation flexibel handeln zu können. Doch die Veränderung hin zu mehr Business-Agilität erfordert – im Gegensatz zu vielen anderen Change-Initiativen – Führungskräfte, die anders denken und vor allem handeln.

Diese andere Art zu führen nennen wir katalytische Führung oder häufig Catalyst Leadership. Was es damit genau auf sich hat und was es braucht, um zum Catalyst Leader zu werden, schauen wir uns in diesem Beitrag an.

Wozu braucht es eine andere Art der Führung?

Die COVID-19-Pandemie, die im März 2020 mit beachtlicher Macht in unser Leben brach, hat von einem Tag auf den anderen das Leben in vielen Firmen auf den Kopf gestellt. Messen fanden nicht mehr statt, Verkaufsstätten mussten geschlossen werden, Versicherungsvertreter durften keine Kunden mehr besuchen, aber auch Teamarbeit war häufig nur noch online und damit auf Distanz möglich. Nun war schnelles und entschiedenes Reagieren gefragt, und zwar auf allen Ebenen. Nur wenn alle mitdenken und mitziehen, ist ein schnelles Umlenken auch im großen Stil möglich.

Doch nicht nur globale Pandemien erfordern ein schnelles Umdenken, sondern schnelles Reagieren ist immer dann essentiell, wenn Unsicherheiten im Spiel sind. Dann ist es erforderlich zu handeln, selbst wenn man sich des Erfolgs nicht sicher sein kann. Zudem ist es völlig normal, zu probieren, zu experimentieren, zu iterieren, bis man einen gut funktionierenden Weg gefunden hat. Dabei gilt es immer wieder, die Richtung anzupassen. 

Ebenso ist dies auch im ganz ,normalen’ Geschäft relevant. Wir können zwar ein neues, kompliziertes Produkt wie geplant entwickeln und auf den Markt bringen. Doch ob es am Markt erfolgreich sein wird, können wir nicht im Voraus wissen.

Wenn plötzlich ein neuer, schneller Wettbewerber den Markt betritt, macht die Fähigkeit zur schnellen Veränderung den Unterschied zwischen wirtschaftlichem Erfolg und Niedergang aus.

Auf den ersten Blick rufen solche Situationen nach charismatischen Helden, die das Schiff mutig durch die raue See steuern.

Die Grenzen von heroischer Führung

Doch die klassische heroische Leadership, bei der Entscheidungen an der Spitze der Organisation zentralisiert werden, stößt in der rauen See der dynamischen Businesswelt schnell an ihre Grenzen.

  1. Jede einzelne Entscheidung ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig und die erforderliche Zeit, sich in jede Sachlage wirklich einzuarbeiten, um eine gute Entscheidung treffen zu können, hat man als Leader oftmals gar nicht. Wenn man nicht basierend auf willkürlich aus dem Bauch heraus gefällten Entscheidungen führen will, bleibt einem als Leader gar nichts anderes übrig, als ein Umfeld zu schaffen, in dem man nicht selbst alle Entscheidungen treffen muss.
  2. Heroische Führungskräfte kennen die Lösung und den Weg, sie sind die Treiber. Wenn sie also nicht treiben, passiert auch nichts, zumindest nichts Neues. Die Folge sind für viele Leader eine extrem hohe Arbeitslast und ein dauerhafter Stress, der bis zum Burnout führen kann.
  3. Auch wenn Konsens darüber besteht, dass Mitarbeiter das wichtigste Asset einer Firma sind, fühlen diese sich oft nicht gehört und können sich nicht wirklich entwickeln. Wertvolle Expert:innen verlieren mit der Zeit ihre Initiative und Motivation und entscheiden sich für ein anderes Unternehmen oder – vielleicht noch fataler – für die ,innere Kündigung’.
  4. Oft sind heroische Führungskräfte sogenannte Achiever. Sie wollen relevante Ergebnisse (abgeschlossene Projekte, Marktanteile, Umsatzsteigerungen) innerhalb von festen Zeiträumen erreichen. Das ist wichtig, aber es ist nicht ausreichend. Denn während man solche endlichen ,Spiele’ gewinnen kann, ist das bei wirtschaftlichem Erfolg anders. In so einem langfristigen Spiel ändern sich im Laufe des Spiels die Regeln und auch die Mitspieler. Man kann so ein Spiel nicht gewinnen, ähnlich wie man eine Ehe nicht gewinnen kann. Die Gewinner-Verlierer-Haltung von heroischen Führungskräften schränkt Optionen ein und führt zu kurzfristigen Erfolgen, aber langfristigem Niedergang.

Was bedeutet Catalyst Leadership?

Das Konzept „Catalyst Leadership” stammt aus dem Leadership-Entwicklungsmodell von Bill Joiner und Steven Josephs, das sie 2007 nach vielen Jahren intensiver Forschung in dem zwar etwas trockenen, aber dennoch sehr lesenswerten Buch „Leadership Agility” veröffentlicht haben. Darin erscheint Catalyst Leadership als dritte Entwicklungsstufe. Sie ist nach den heroischen Stufen Expert und Achiever die erste postheroische Stufe und zugleich auch die relevanteste, denn die beiden danach noch folgenden (Co-Creator und Synergist) werden lediglich von weniger als 2 % aller Führungskräfte jemals erreicht.

Doch was hat es nun mit Catalyst Leadership auf sich? Der Begriff „Catalyst” klingt zunächst etwas sperrig und naturwissenschaftlich. Doch der Blick auf die Herkunft des Begriffs ist interessant. Ein Katalysator im ursprünglichen Sinne ist ein Stoff, der Reaktionen beschleunigt oder überhaupt erst ermöglicht, ohne selbst direkt beteiligt zu sein. Das lässt sich gut auf Führung und Organisationen übertragen. 

Katalytische Führungskräfte – häufig Catalyst Leader genannt – beschleunigen die Geschwindigkeit, mit der Entscheidungen getroffen werden, aber ohne selbst immer mehr Entscheidungen zu treffen, sondern indem sie Menschen, die näher am Kunden sind oder die über aktuelle Informationen verfügen, befähigen, selbst auch wichtige Entscheidungen sinnvoll zu treffen.

Die katalytische Wirkung geht aber über das reine Fällen von Entscheidungen hinaus. Catalyst Leader ermöglichen und beschleunigen auch das persönliche Wachstum von Menschen und das Entstehen von leistungsfähigen Teams. Sie wirken auch als Katalysator dafür, dass die Organisation als Ganzes die neuen Fähigkeiten entwickelt, die jetzt und in der Zukunft gebraucht werden. 

Ein großartiges Beispiel, wie man dies konkret angehen kann, beschreibt David Marquet in seinem Buch „Turn the Ship Around”. In dieser Fallstudie beschreibt er, wie er als Kommandant eines US-Atom-U-Boots eine völlig neue Führungskultur entwickelt, die nicht nur die Leistungsfähigkeit des U-Boots nach vorne katapultiert, sondern auch noch lange nach seinem Weggang Bestand hat. Das Buch zeigt beeindruckend, dass es selbst in einer Organisation, die als Ursprung der Command-and-Control-Führungskultur gilt, möglich und sogar erfolgreich ist, ohne Befehle zu führen.

Was sind wichtige Eigenschaften von Catalyst Leadern?

Leader, die sich zusätzlich die Fähigkeiten von Catalyst Leadership erschließen, entwickeln eine langfristigere zeitliche Perspektive, einen Blick über Projekte und Abteilungen hinaus auf die umgebende Organisation und ihre Kultur sowie ein höheres Maß an situativer Wahrnehmung und absichtsvollem Handeln.

Das zeigt sich konkret in diesen Eigenschaften: 

  • Catalyst Leader wissen: Der entscheidende Hebel, um etwas Begeisterndes zu schaffen, ist eine Kultur, die begeistert. Sie sprechen dabei von Wir und beziehen sich selbst mit ein, anstatt von Ich und den anderen zu reden. Sie fokussieren sich darauf, diese Kultur und eine Umgebung zu schaffen, in der Menschen erfolgreich sein können und von der sie gerne ein Teil sein möchten.
  • Catalyst Leader schaffen und vermitteln einen Zweck und eine Vision für die Organisation. Die Strategie, wie sich diese Vision erreichen lässt, entwickeln sie gemeinsam mit ihrem Führungsteam in echter Co-Creation. Dafür verfügen sie über entsprechende Fähigkeiten zur Kommunikation.
  • Catalyst Leader agieren bevorzugt und systematisch als Coach, um Menschen und Teams entwickeln zu können, auch indem sie sie auf positive Weise herausfordern. Dazu müssen sie nicht unbedingt ein ausgebildeter Coach sein, aber sie sollten Coaching-Fähigkeiten besitzen.
  • Catalyst Leader denken langfristig, sowohl was die Entwicklung des Unternehmens und ihrer Mitarbeiter betrifft, als auch in Bezug auf das eigene Wachstum. Daher sind sie selbst ein Vorbild für lebenslanges Lernen und unterstützen dies bei anderen.
  • Catalyst Leader schaffen und nutzen co-kreative Strukturen, um mit anderen zusammenzuarbeiten. Dabei bringen sie sich ein und schaffen eine Umgebung, die andere ermutigt, sich ebenfalls einzubringen. Indem sie Dinge wie „Ich könnte auch falsch liegen” sagen, schaffen sie psychologische Sicherheit für abweichende Meinungen, auch dem Chef gegenüber. Sie ermöglichen so echte Experimente, deren Ergebnis vorab nicht bekannt ist, die also auch fehlschlagen können.
  • Catalyst Leader zeigen sich verletzlich. Sie geben die Erlaubnis für kritisches Feedback, fragen aktiv danach und greifen es auch auf. Sie sind selbst bereit zur Veränderung.

Haben Catalyst Leader deswegen immer eine freundliche, angenehme Persönlichkeit? Nicht unbedingt. Nett sein und eine katalytische Wirkung in Organisationen zu entfalten, sind zwei recht verschiedene Dinge. Einige ziemlich bekannte Führungspersönlichkeiten wie Steve Jobs oder Elon Musk zeigen beispielsweise viele Eigenschaften von Catalyst Leadership, sind aber, soweit ich das anhand von Büchern und Interviews beurteilen kann, nicht unbedingt das, was man landläufig als ,angenehme Menschen’ bezeichnen würde.

Ich erwähne das ausdrücklich, weil ich es sehr häufig erlebe, dass Catalyst Leadership mit einer Art von dienender Führung gleichgesetzt wird, die nett zu allen sein und nirgendwo anecken will. (Und ja, natürlich bevorzuge ich persönlich menschlich angenehme Catalyst Leader.)

Wie wird man zum Catalyst Leader?

Das Leadership-Agility-Framework zeigt wunderbar auf, dass man sich vom Expert Leader über den Achiever hin zum Catalyst entwickeln kann. Das ist kein Automatismus. 55 % aller Führungskräfte gelangen nie über den Experten hinaus, 35 % sind Achiever, und lediglich 10 % erreichen als Führungskräfte die Stufe des Catalyst Leaders.

Damit das gelingt, brauchen Führungskräfte vor allem:

  • Selbst-Erkenntnis: Es muss einem zunächst einmal bewusst sein, dass man sich entwickeln kann und muss, damit eine persönliche Entwicklung beginnen kann.
  • Übung und Feedback: Um dahin zu kommen, ganz natürlich und trotzdem bewusst auf eine bestimmte Weise zu handeln und zu führen, braucht es eine Menge Übung und auch Rückmeldung.
  • Zeit: Persönlichkeitsentwicklung geschieht nicht über Nacht. Das Leadership Agility Modell zeigt außerdem deutlich auf, dass Catalyst Leader im Laufe ihrer Entwicklung auch die Stufen Expert Achiever durchlaufen haben. Von der Schule direkt zum Catalyst Leader – das funktioniert nicht.

Viele Führungskräfte beginnen dabei, an ihrem Gesprächsstil und der Art, wie sie kommunizieren und wie bestimmend sie auftreten, zu arbeiten. Dazu gehören auch das Geben – und auch das Entgegennehmen – von Feedback. Dabei gilt es, das Üben aktiv in den Alltag zu integrieren, denn der ist meist schon so vollgepackt, dass da kein Platz für separate Trainingseinheiten ist.

Wo kann ich mehr über Catalyst Leadership erfahren?

Einige andere Artikel in meiner Reihe zu Agile Leadership greifen Punkte aus diesem Artikel auf, z.B.:

Diese Bücher eignen sich gut für das weitere Selbststudium:

  • „Leadership Agility”, auch auf Deutsch erhältlich als „Agilität in der Führung“, von Bill Joiner & Stephen Josephs
  • Turn the Ship Around von David Marquet
  • Dare to Lead, zu Deutsch „Führung wagen“ von Brené Brown
  • Atomic Habits von James Clear

Außerdem können dir einige unserer Trainingsangebote dabei helfen, dich auf deine eigene Leadership-Reise zu machen:

Wenn du weitere Fragen zu Catalyst Leadership hast oder auch Führungskräfte in deiner Organisation systematisch (weiter-)entwickeln möchtest, freue ich mich über eine Nachricht.

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