Film-Szene 30er Jahre: Angestellte mit verschiedenen Anliegen umringen einen Mann am Schreibtisch.

Achtung Verantwortungsfalle: Wieviel Verantwortung darf man als Führungskraft dem Team abnehmen?

Es liegt auf der Hand, dass in den Begriffen Führungskraft oder Leadership Verantwortung implizit enthalten ist. Doch wieviel Verantwortungsübernahme durch den Leader ist gesund? Wann kippt das Verhältnis im Team zwischen selbstbestimmtem Handeln zu totaler Weisungserwartung?

Viele Leader haben das Gefühl, ihr Team ist passiv und alles bleibt an ihnen hängen. „Warum will in meinem Team niemand Verantwortung übernehmen? Jede Kleinigkeit muss ich entscheiden. Das ist doch kein Kindergarten hier!” 

Solche und ähnliche Situationen, die für die Führungskraft für Frust sorgen, entstehen häufig nach einer Entwicklung, die schließlich zur Verantwortungsfalle für den Leader führt.

Wie Führungskräfte in die Verantwortungsfalle geraten

Unter Verantwortungsfalle versteht man einen Teufelskreis, der dazu führt, dass sich beim Leader immer mehr Verantwortung sammelt und auf der anderen Seite das Team immer mehr Verantwortung abgibt. Nicht selten liegt der Ursprung dabei – meist unbewusst – am Führungsstil. Der wiederum wird zu einem Teil mit davon beeinflusst, wie jemand an die Führungsrolle gelangt, und ob sie oder er die Möglichkeit hat, sich in der Rolle weiterzuentwickeln. 

Um diese Zusammenhänge besser zu verstehen, werfen wir kurz einen Blick darauf, wie den meisten von uns die erste Führungsverantwortung übertragen wurde. Oft gibt dabei besondere Expertise in einem bestimmten Thema den Ausschlag.

Mein eigener Weg ist dafür ein gutes Beispiel:
Nach dem Abschluss meines Informatik-Studiums war ich zunächst Mitglied eines Software-Entwicklungsteams. Es war meine erste Stelle und ich war stolz darauf, als professioneller Entwickler einen wertvollen Beitrag leisten zu können. Mein Engagement und meine Leistungen sind offenbar aufgefallen und so eröffnete mir mein Chef eines Tages, dass ich nun für das Team verantwortlich sei. Ich hatte relevantes Fachwissen und konnte so schnell Lösungen für alle möglichen Probleme finden. Das gab mir Selbstvertrauen als Leader. Das war gut und wertvoll. 

Allerdings läuft man als solch ein Expert Leader leicht Gefahr, seine Expertenhaltung weit über den Bereich auszudehnen, in dem man tatsächlich Expertise besitzt. Man tendiert gerne dazu, mit etwas viel „Ego” aufzutreten und nur zu gerne die eigene Lösung für die beste zu halten. Für die Lösungen anderer ist man weniger offen. Geht etwas schief, hat vermutlich jemand anderes einen Fehler gemacht.

Das nennen wir einen heroischen Führungsstil. Der Leader ist der Held, der das Problem löst und für den Erfolg sorgt. 

Ich muss gestehen, dass ich bei einem meiner ersten Engagements als Scrum Master insgeheim sogar ein wenig stolz war, dass das Team ins Stolpern kam, als ich durch jemand anderen abgelöst wurde. Es fühlt sich gut an, gebraucht zu werden und nicht einfach ersetzt werden zu können. Doch dieser heroische Führungsstil bildet die Grundlage für die Verantwortungsfalle. 

Doch woraus besteht diese „Falle” genau? Eine immer umfassendere Verantwortungsübernahme der Führungskraft führt zu einer abwehrenden Reaktion der Mitarbeitenden darauf. Diese Reaktion verstärkt wiederum den Grad an Verantwortungsübernahme beim Leader, was eine noch stärkere Abwehr auf Seite der übrigen Teammitglieder hervorruft. 

Schauen wir uns diesen Teufelskreis einmal genauer an. Beginnen wir mit der Führung.

Der heroische Führungsstil

Heroische Leader fühlen sich in hohem Maße verantwortlich. Das zeigt sich besonders in den folgenden Bereichen:

  1. Zielsetzung. Heroische Leader setzen häufig persönliche Entwicklungsziele, z.B. für ihre Mitarbeitenden. Gerne geben sie dabei Schritte vor, die ihnen selbst früher geholfen haben. Auch vorgegebene Deadlines für Projekte passen hier ins Bild. Gemäß der Devise: „Nur unter Druck entstehen Diamanten!”
  2. Auskunftshoheit. Dahinter steckt der Gedanke: „Wenn mich mein Chef oder ein Kunde etwas fragt, will ich aussagefähig sein. Daher entscheide ich viele Dinge am liebsten selbst, denn dann weiß ich genau, warum die Entscheidung so getroffen wurde.”
  3. Arbeitskoordination der Teams und Mitarbeitenden. Hier zeigt sich die Haltung: „Ich habe den besten Überblick. Daher verteile ich die Arbeitsaufträge. Da ich mich mit vielen Themen auch inhaltlich auskenne, kann ich dabei gleich wichtige Hinweise geben, wie man sie am besten umsetzt. Außerdem kann ich sicherstellen, dass meine Mitarbeiter ihre Zeit nicht mit Unwichtigem verplempern und auch ungeliebte Aufgaben rechtzeitig fertig werden.”

Wichtig dabei zu verstehen ist, dass das Ganze nicht etwa als bösartig zu werten ist. Die Leader handeln mit einer absolut positiven Intention! Dinge sollen fertig werden, Ziele erreicht und keine Zeit vergeudet werden.

Doch wie wirkt das auf die Mitarbeitenden?

Mitarbeitende unter einem heroischen Leader lernen, dass eigene Verantwortungsübernahme nicht erwünscht ist oder sich nicht auszahlt

Auf die Mitarbeitenden hat dieses Verhalten einen ganz anderen Effekt als von der Führung beabsichtigt. Betrachten wir nun die drei Verhaltensmerkmale heroischer Leader aus der Perspektive der Mitarbeitenden und überlegen uns, was nun in ihrem Kopf vor sich geht.

  1. a. Vorgabe der Entwicklungsziele durch den Leader: „Dieses Ziel soll ich erreichen? Das reizt mich ja gar nicht. Kriege ich dann wenigstens mehr Geld dafür? Nein? Na, dann mache ich ab jetzt halt pünktlicher Schluss. Dann habe ich endlich mehr Zeit für meinen Garten.”

    b. Vorgabe einer Deadline für das Projekt: “Bis dahin soll dieses Projekt fertig werden? Das ist unmöglich! Naja, ich sag besser nichts. Sonst stehe ich wieder blöd da. Sie wird schon sehen, dass das nichts wird.”
  2. Lösungs- und Auskunftshoheit: “Hier kann man echt nichts gestalten. Jetzt bin ich schon seit Jahren da und muss mir immer noch jede Kleinigkeit von ihm absegnen lassen. Der reinste Kindergarten ist das hier.”
  3. Aufgaben-Koordination: “Jeden Tag muss ich erklären, wie weit ich schon bin. Alles wird kontrolliert. Das reinste Micro-Management. Wie kann man nur so misstrauisch sein?”

Beide Seiten werden zunehmend genervt, weil sie in diesem „Kindergarten” mitspielen müssen, auch wenn sie sich eine ganz andere Art der Zusammenarbeit wünschen.
 

In Summe führt also die Überverantwortlichkeit der Leadership dazu, dass sich die Mitarbeitenden mit den Zielen nicht identifizieren, sich unterfordert und kontrolliert fühlen. Sie zeigen kaum Verantwortung und Engagement, da sie nicht das Gefühl haben, Dinge wirklich gestalten und auch entscheiden zu können. Das allgemeine Verhalten ist eher passiv und es folgt wenig Reaktion, wenn etwas schief läuft.

Es kommt auf die Grundhaltung der Führungskraft an

Leider gibt es kein einfaches 3-Punkte-Rezept, mit dem man der Verantwortungsfalle entkommen kann. Denn auch wenn das Internet voll von Tipps und Rezepten ist, laufen sie ins Leere, wenn sie nicht von der entsprechenden inneren Haltung der Führungskraft gestützt werden. Nur dann kann ein ausgewogeneres Verhältnis gelingen.

Beispielsweise lautet ein oft genannter Tipp für Führungskräfte: „Hören Sie sich zuerst die Meinung der Mitarbeitenden an, bevor Sie Ihre eigene äußern.”

Die heroische Führungshaltung dazu wäre etwas überspitzt: “Sehr gerne. Nur, was soll da schon kommen? Man braucht einen Überblick und jahrelange Erfahrung (so wie ich), um hier eine gute Lösung zu finden. Mal sehen, was sie diesmal nicht bedacht haben”. Die aus dieser Haltung entstehende Reaktion auf die Meinung der Mitarbeitenden lässt weitere Vorschläge schnell verstummen.

Zudem haben Mitarbeitende ein sehr feines, oft auch unbewusstes Gespür für Unstimmigkeiten im Verhalten ihrer Führungsperson. „Mein Chef ist irgendwie komisch heute. Er will meine Meinung hören. Ob das ein Trick ist, um mich aufs Glatteis zu führen?” 

Und was macht dieser Chef, wenn es mal schwierig wird? Er zieht sich in bekanntes und bewährtes Micro-Management zurück und zeigt aus Sicht der Mitarbeitenden sein wahres Ich.

So entgehst du der Verantwortungsfalle

Der einzige Weg, den ich kenne, um der Verantwortungsfalle zu entgehen, besteht darin, zu einer wertschätzenden Haltung auf Augenhöhe zu kommen und eine Kultur zu schaffen, in der Mitarbeitende wirklich Verantwortung übernehmen können. 

So eine Haltung ist geprägt von „Meine Mitarbeiter sind nicht einfach zu koordinierende Ressourcen mit eng begrenztem Spezial-Know-how, sondern intelligente Menschen und wertvolle Ideengeber.” Und: “Ich habe längst nicht immer Recht. Vielleicht liege ich hier auch falsch.” 

Wenn man aus dieser partizipativen Haltung heraus nach der Meinung von Mitarbeitenden fragt, dann denken diese viel eher: “Oh, wenn [Lead] selbst sagt, dass er/sie vielleicht nicht Recht hat, dann ist ja meine andere Idee doch hilfreich” und teilen ihre Perspektive.

Nachhaltig und dauerhaft ist ein Entkommen aus der Verantwortungsfalle also nur dadurch möglich, dass man als Leader seinen eigenen Führungsstil über den der heroischen Führung hinaus entwickelt, und für sich auch einen Stil erschließt, den wir „Catalyst Leadership” nennen. 

Führung auf Augenhöhe: Catalyst Leadership

Wenn du schon heute erste Schritte in Richtung auf mehr Catalyst Leadership gehen möchtest, dann rate ich dir, an diesen drei Punkten anzusetzen:

  1. Dein Umgangsstil mit anderen. Beobachte dich selbst: Wie gehst du mit anderen um? Wo nimmst du dir Raum, teilst deine Meinung mit, bist tonangebend und wo gibst du anderen Raum, hörst zu, empfängst? Hast du eine Präferenz? Versuche, auch die jeweils andere Seite zu entwickeln, die bisher weniger Raum einnimmt.
  2. Dein Umgang mit Problemen und Entscheidungen. Beobachte, wie du damit umgehst, wenn jemand zu dir kommt und eine Lösung für ein Problem oder eine Entscheidung will. Dann probiere Folgendes aus: Bitte die Mitarbeitenden um drei mögliche Lösungen und je einer Empfehlung dazu. Fordere sie dann auf, der eigenen Empfehlung zu folgen.
  3. Dein Umgang mit Fehlern. Beobachte dich selbst: Wie reagierst du, wenn etwas schief geht? Fällt es dir schwer, selbst einen Fehler zuzugeben? Ist das etwas Schlimmes, das nicht hätte vorkommen dürfen? Verlieren Mitarbeitende vielleicht ihr Gesicht, wenn sie einen Fehler gemacht haben? Versuche, Fehler als Lernchancen zu behandeln. Dinge werden immer mal schief gehen. Der einzige wirkliche Fehler besteht darin, nicht daraus zu lernen.

Du siehst, es geht um Beobachten, Selbstreflexion und das Ausprobieren neuer Herangehensweisen. Sei neugierig, mutig und geduldig mit dir. Du wirst sehen, dass schon bald die Bereitschaft zu Engagement und Verantwortung bei deinen Mitarbeitenden steigt.

Fazit

Es gibt keinen schnellen Weg aus der Verantwortungsfalle. Der einzige nachhaltige Weg, den ich kenne, führt über Catalyst Leadership

Mit ihr gelingt es, eine Kultur zu schaffen, in der das Erreichen gemeinsamer Ziele durch Zusammenarbeit auf Augenhöhe und in Eigenverantwortung möglich ist. Wenn man sich als Mensch gesehen und ernst genommen fühlt und angstfrei verantwortungsvoll handeln kann, dann tut man das auch.

Wenn du mehr über Catalyst Leadership erfahren willst und dich auf den Weg machen willst, mehr Catalyst-Leadership-Kompetenzen zu entwickeln, empfehle ich dir einen meiner „Agile Leadership Journey”-Kurse. Darin erwirbst du dir ein tieferes Verständnis davon, was Catalyst Leadership bedeutet, und wie man sich zum Catalyst Leader entwickelt.

Ähnliche Beiträge

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert