zerknitterter Ideen-Zettel

Wie wir die „Brainstorming-Falle“ im Product-Backlog-Refinement umgehen können.

Wie jeden Donnerstag trifft sich das Team pünktlich um 14:00 Uhr zum Product Backlog Refinement.

Zu Beginn des Meetings teilt der Product Owner Tom seinen Bildschirm und stellt ein neues Ticket in Jira vor. Dazu liest Tom die Überschrift vor und erklärt in groben Zügen, welches Problem die Story lösen soll. Danach richtet er das Wort an die Entwickler und bittet sie darum, Lösungen für das Problem zu brainstormen. Stefan, der Senior-Entwickler im Team, hebt seine Stummschaltung auf und erklärt dem Team, wie er vor vielen Jahren bereits eine ähnliche Story entwickelt hat. Bei seinen Erklärungen skizziert er, wie seine Lösung konkret implementiert werden würde.

Tom dankt Stefan für die Idee und richtet das Wort an die anderen Teammitglieder: „Gibt es noch Alternativen?“ Die anderen zucken mit den Schultern und bestätigen, dass Stefans Idee gut sei.

Wenn dir diese Situation bekannt vorkommt, dann lies weiter. Ich verrate dir, welche wissenschaftlich belegten Probleme bei dieser Art des Brainstormings entstehen. Am Ende des Artikels erfährst du, wie du ein Brainstorming so moderierst, dass das Team seine besten Ideen findet.

Widmen wir uns zunächst den Problemen:

Problem 1: Die erste Idee ist selten die beste.

Was macht eine Idee zu einer guten Idee?

Wie gut eine Idee das betrachtete Problem löst, ist ein Faktor. Ein weiterer ausschlaggebender Faktor ist, wie neuartig die Idee ist. Im Jahr 1986 führten Min Basadur und Ron Thompson eine Studie an Führungskräften und Fachleuten aus einer Vielzahl von Organisationen durch und belegten damit, dass die originellsten Ideen eher gegen Ende einer Ideenfindung erzeugt werden. Was im Umkehrschluss bedeutet:

Die ersten Ideen beim Brainstormen sind selten die besten.

Problem 2: Weniger Ideen bedeuten schlechtere Ideen.

Besteht ein Zusammenhang zwischen der Anzahl der Ideen und der Qualität der Ideen?

Im Jahr 2011 untersuchte eine Studie Brainstorming mit vier verschiedenen Arten von Anweisungen: kein spezifischer Fokus, ein Mengenziel, ein Qualitätsziel und ein gemeinsames Mengen- und Qualitätsziel. Die Forschergruppe um Paul Paulus fand heraus, dass das Brainstorming mit einem Mengenziel den Brainstormings mit den anderen drei Zielen überlegen war, da es zur Generierung von mehr Ideen und mehr guten Ideen führte. Dieses überraschende Resultat noch einmal anders ausgedrückt:

Weniger Ideen bedeuten wahrscheinlich auch schlechtere Ideen.

Problem 3: Gruppen erzeugen schlechtere Ideen.

Viele glauben, dass Gruppen bessere Ideen generieren als Einzelpersonen.

Genau das Gegenteil ist der Fall. Michael Diehl und Wolfgang Ströbe von der Universität Tübingen haben herausgefunden, dass

  • Einzelpersonen härter arbeiten.
  • Einzelpersonen in der Gruppe häufig ihre Ideen vergessen, da sie warten müssen, bis sie an der Reihe sind.
  • sich die Leistung der Gruppe tendenziell an die Leistung der schwächsten Mitglieder anpasst.

Aber:

Warum fühlt sich dann Brainstorming in der Gruppe produktiver an?

Es ist nicht produktiver, sondern nur müheloser.

Wenn Einzelpersonen viele Ideen erzeugen wollen, dann müssen sie härter arbeiten. Niemand unterstützt sie, sollten sie feststecken und ihnen keine neuen Ideen mehr kommen. Brainstormt hingegen eine Gruppe gemeinsam Ideen, dann beflügeln sich die Mitglieder gegenseitig. Dies erweckt den Eindruck, weniger häufig festzustecken und deshalb weniger hart arbeiten zu müssen. Die Forscher um Bernard A. Nijstad bezeichnen dieses Phänomen als „die Illusion der Gruppenproduktivität“.

In einer Product-Backlog-Refinement-Session, wie ich sie oben beschrieben habe, finden wir alle drei Probleme:

Das Team gibt sich mit der ersten Idee zufrieden. Diese Idee könnte tendenziell eher schlechter sein, da die Umsetzung bereits viele Jahre zurückliegt. Nur einer im Team liefert eine Idee.

Wir sehen aber auch, dass diese eine Idee der Gruppe hilft, nicht festzustecken und somit zumindest eine Lösung zu finden.

Die Frage, die also bleibt:

Wie können Teams brainstormen, ohne die Nachteile vom Brainstorming in der Gruppe zu haben?

Die Antwort lautet: „Hybrides Brainstorming“.

So bezeichnen Runa Korde und Paul Paulus einen Ansatz, der die Vorteile von Brainstorming in der Gruppe und Brainstorming einer Person vereint.

Konkret funktioniert dies, wie folgt:

Zuerst überlegt jeder Teilnehmer der Brainstorming-Session nur für sich. Dann stellt jeder Teilnehmer seine Ideen der Gruppe vor. Dann überlegt wieder jeder Teilnehmer neue Ideen für sich.

Dieser Wechsel zwischen Einzel- und Gruppen-Brainstorming wird als hybrides Brainstorming bezeichnet. Runa Korde und Paul Paulus haben mit ihrer Forschung bestätigt, dass dieser Ansatz mehr Ideen generiert als Einzel-Brainstorming oder Gruppen-Brainstorming für sich genommen. Zusammen mit der Einsicht, dass mehr Ideen zu besseren Ideen führen, ist dies der beste Ansatz, wie Teams brainstormen sollten.

Ich habe „hybrides Brainstorming“ bereits einige Male mit Teams ausprobiert. Hier sind drei Tipps, die du beachten solltest:

Tipp 1: Während des Brainstormings nicht diskutieren

Es geht darum, dass möglichst viele, möglichst unterschiedliche Ideen erzeugt werden. Deshalb sollte nur die Person sprechen, die ihre Idee vorstellt. Alle anderen hören zu. Es sollte keine Diskussionen geben. Diskussionen führen schnell zu Bewertungen von Ideen und das sollte vermieden werden.

Jede Idee ist erlaubt und willkommen.

Tipp 2: Ideen verständlich formulieren

Noch besser ist es, ganz auf die Vorstellung der Ideen zu verzichten.

Klingt am Anfang sehr ungewohnt. Das Team soll Lösungsideen erzeugen, sich aber nicht darüber austauschen? So ist es! Damit das funktioniert, müssen die Ideen so formuliert werden, dass sie jeder im Team versteht. Das braucht in der Regel etwas mehr Zeit.

Und deshalb lautet mein letzter Tipp:

Tipp 3: Als Team asynchron brainstormen

Wie soll das funktionieren?

Der Product Owner stellt im gemeinsamen Termin nur das Problem vor. Das Brainstorming für die Lösungsideen findet im Anschluss asynchron statt. Jeder hat einen Tag lang Zeit, in einem Slack-Kanal oder auf einem Miro-Board seine Lösungsansätze zu posten, die anderen zu lesen und weitere Ideen aufzuschreiben. Dieses Vorgehen hat mit Abstand die meisten Ideen im Team erzeugt. Ein weiterer Vorteil dieses Vorgehens: Wenn Teammitglieder feststecken und ihnen keine Ideen mehr einfallen, dann können sie sich entweder von den Ideen der Kollegen inspirieren lassen oder sich anderer Quellen bedienen. Etwa indem sie googlen, in Foren nachlesen oder mit Kollegen außerhalb des Teams sprechen.

Erst am nächsten Tag kommt das Team dann wieder gemeinsam zusammen und diskutiert, bewertet und priorisiert die Ideen.

Kannst du dir vorstellen, hybrides Brainstorming auch in deinem Scrum-Team einzusetzen?

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