Cognitive Biases in Scrum – Overconfidence-Effekt

Worin liegt der Unterschied zwischen dem Schätzen von Story Points und der Schätzung der Liebhaber von Zarin Katharina der Zweiten? 

Katharina die Zweite von Russland, war nicht für ihre Keuschheit bekannt. Zahlreiche Liebhaber waren regelmäßig zu Besuch.

Hierzu eine kleine Schätzaufgabe aus einem ganz anderen Bereich als Scrum:

Wenn Du schätzen müsstest, wie viele Liebhaber Katharina die Zweite in ihrem Leben hatte und dabei mit einer 98%igen Wahrscheinlichkeit richtig liegen solltest – was würdest Du annehmen (eine Aussage wie “zwischen X und Y Liebhaber” wäre erlaubt)?

Nimm dir hier einen Moment, um darüber nachzudenken und schreibe deine Schätzung auf. Die Auflösung folgt am Ende des Textes.

Nassim Taleb, Autor von “Antifragilität” und “der schwarze Schwan”, hat diese Art Aufgabe Hunderten von Menschen gestellt. Er hat nach der Länge des Mississippi, dem Kerosinverbrauch eines Airbusses und Vielem mehr gefragt.

Das Ergebnis war, dass statt den gewünschten 2% in der Umfrage 40% falsch lagen, mit der von ihnen frei gewählten Spanne, obwohl diese nicht eingeschränkt wurde.

Dieses Phänomen ist als Overconfidence (Selbstüberschätzung) bekannt.

Quelle: Pixabay

Das Phänomen der Selbstüberschätzung ist auch bei Prognosen und Schätzungen wirksam wie sie in der agilen Produktentwicklung Verwendung finden. Schätzungen wie die Anzahl an Product-Backlog-Items für den kommenden Sprint im Planning, die Schätzung von Story Points im Refinement, aber auch andere Schätzungen und Prognosen (welche nicht nur auf Daten basieren, sondern auf Meinungen) unterliegen genau demselben Effekt. Wir überschätzen systematisch unsere Fähigkeiten zu prognostizieren, je länger die Sprintlänge bzw. die Dauer ist, für die geschätzt werden soll. Der sogenannte Overconfidence Bias (Selbstüberschätzungs-Fehler) handelt jedoch nicht davon, ob eine Schätzung stimmt oder nicht. So können wir aus Versehen mit der Menge der Items richtig liegen, die wir uns für den Sprint vorgenommen haben. Das Phänomen misst vielmehr den Unterschied zwischen dem, was wir wirklich wissen und dem, was wir glauben zu wissen.

Ich höre häufig: “Ich mache dies schon sehr lange, ich bin Expert in diesem Gebiet und kann inzwischen gut einschätzen, was realistisch ist und was nicht”. Fühlst du dich dieser Gruppe zugehörig?

Experten liegen öfter daneben, als Nicht-Experten

Überraschend scheint: Experten leiden noch stärker am Selbstüberschätzungs-Effekt als Nicht-Experten. Die subjektive Einschätzung Experte zu sein, kann dazu führen, dass wir weniger kritisch und methodisch und mehr intuitiv vorgehen. Leider ist niemand von uns gewappnet vor Cognitive Biases und unserer Intuition, wenn auch in den meisten Fällen dienlich, unterliegt sie in manchen Fällen einem Fehler.

Der Effekt ist in vielen verschiedenen Bereichen wirksam.

In Frankreich ergab eine Untersuchung, dass 84% der Männer angaben, überdurchschnittliche Liebhaber zu sein. Normalerweise dürften es nur 50% sein. Durchschnitt bedeutet schließlich, dass 50% darüber und 50% darunter liegen müssten. Wenn man Paare nach deren Anteil am Haushalt fragt, so schätzen die Personen Ihren eigenen geleisteten Anteil im Durchschnitt mit 70% ein. Natürlich sollte die Summe der beiden Anteil bei 100% liegen und würde in dieser Umfrage bei 140% liegen.

Ähnliches ist auch bei agilen Produktteams zu sehen: Nur sehr wenige Teams unterschätzen die Product-Backlog-Items, welche sie in einem Sprint erledigen können.

Selbstüberschätzung und agile Transformationen

Es gibt kaum ein Großprojekt, welches mit weniger Kosten und weniger Zeit abgeschlossen wurde, als geplant. Denke nur bspw. an den Berliner Flughafen, die Elbphilharmonie und viele mehr. Auch bei der Durchführung von agilen Transformationen hinterlässt der Overconfidence Bias seine Spuren.

Fun Facts gegen Ende:

  • Die Selbstüberschätzung ist bei Männern ausgeprägter als bei Frauen.
  • Einen gegenteiligen Effekt der systematischen Selbstunterschätzung gibt es leider nicht. Wir sind häufig weit weniger bodenständig als wir annehmen.
  • Auch selbsterklärte Pessimisten und Personen, “die lieber weniger in den Sprint reinnehmen“, leiden unter dem Overconfidence-Effekt — nur weniger.
  • Die Selbstüberschätzung ist nicht incentiviert, sondern eine angeborene Tendenz.

Was also gegen die Selbstüberschätzung tun?

  • Erhöhe den Anteil empirischer Daten und reduziere den Anteil subjektiver Einschätzungen und Intuitionen bei eurer Schätzung
  • Frage dich: Welchen Grad an Unsicherheit behaftet die vorliegende Schätzung und wie könnt ihr diese minimieren?
  • Versuche, eure Schätzungen bzw. Aussagen, so gut es geht zu validieren
  • Diskutiert Meinungsverschiedenheiten und seid skeptisch bei allen Vorhersagen, die du und dein Team treffen. Im Team Vorhersagen zu treffen hilft bereits, da die eigenen Aussagen validiert werden (sofern nicht andere Cognitive Biases wirksam werden, wie bspw. Autoritätseffekte)

Du möchtest noch mehr darüber erfahren, wie du Cognitive Biases in deiner Praxis in Scrum verhinderst?

Melde dich bei mir und lass uns über mögliche Hilfestellungen und Werkzeuge sprechen, die du direkt anwenden kannst!

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P.S.: Die Anzahl der Liebhaber wird auf ca. 40 geschätzt, davon sind 20 namentlich bekannt.

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