Durch Agilität in die Krise?

Klingt erstmal schräg, oder? Ist es aber nicht!
Ein leicht überspitzter, aber nicht gänzlich weltfremder Perspektivwechsel…

In meinem ersten Artikel über Werte habe ich erklärt, was Werte eigentlich sind und warum dieses Thema sowohl Gleichgültigkeit, als auch starke Emotionen auslöst. Hier geht’s nun weiter auf diesem Trip…

Warum Agilität per Dekret nicht funktioniert 

Wir müssen agil werden!

Klingt erst einmal gut! Aber warum müssen wir eigentlich?
Darauf gibt’s eher selten eine Antwort – egal!

Lassen wir den Grund einmal beiseite und nehmen an, die Entscheidung ist getroffen…

Jetzt werden Leute auf Schulungen geschickt oder externe Scrum Master eingekauft, damit die den Teams die agile Arbeitsweise oder (noch besser) den “agilen Prozess” beibringen.

Bitte nicht falsch verstehen – das geschieht durchaus aus guter und ehrenhafter Motivation. Jemand, der den Weg noch nicht gegangen ist, sieht vermutlich zwangsläufig eher die offensichtliche Artefakte, wie Zeremonien oder das Kleben von Zetteln und das Versprechen explodierender Produktivität…

Und jetzt treffen Advokaten der agilen Kultur auf Menschen, die sicherlich zu Recht bisher stolz auf ihre Erfolge und ihre Position in der prä-agilen Firmenkultur gewesen sind. Und die bekommen jetzt gesagt: ab heute sollt ihr agil arbeiten!

Bis zu der Ankündigung, dass jetzt alles anders werden muss, wussten die Mitarbeiter:innen, wo sie stehen und dass sie einen guten Job gemacht haben. Und jetzt kommt jemand daher und behauptet, dass die bisherige Arbeitsweise nicht mehr angesagt ist. Und die harte Trennung von QA und Entwicklung wird aufgehoben. Entwickler sind für Qualität verantwortlich und QA-Mitarbeiter für das Liefern von Kundenwert. Verrückte Welt!

Das, was gestern gut, wichtig und richtig war, soll heute nicht mehr gelten?

Gestern war ich noch der Held, weil ich mal wieder der Einzige war, der das Problem beim Kunden im Alleingang lösen konnte und heute kommt der Agilist und sagt, dass das ein Risiko sei und nun das Wissen verteilt werden muss? Ist das der Dank? Was soll das?

Und wenn ich sonst gesagt habe, ich hätte nichts mehr zu tun, dann hat man mir eine Aufgabe zugewiesen, die ich konnte und jetzt soll ich anderen helfen, obwohl die das doch viel besser können und ich dastehen würde, wie ein Depp?

Und zu allem Überfluss darf ich jetzt auch noch im Review sagen, dass wir uns nur mit uns selbst beschäftigt haben und nichts fertig geworden ist? Und das soll jetzt besser sein? Für wen?

Lange Rede, kurzer Sinn: bei der Einführung von Agilität reißen wir erst einmal alte Leitplanken ein und fahren dabei unbewusst (oder doch bewusst!?) auch schon mal mit Vollgas durch den Wertevorgarten der Betroffenen (wer jetzt nicht weiß, wovon ich rede, dem sei der erste Artikel hierzu ans Herz gelegt).

Mit anderen Worten: die Ankündigung, dass ab morgen agil gearbeitet werden soll, kann durchaus zunächst eine mehr oder weniger große Krise auslösen, für deren Bewältigung ein Team durchaus 4-6 Monate benötigen kann.

Wenn Du Scrum Master oder agiler Coach bist, dann ist das vermutlich nichts vollkommen Neues für Dich.

Manche Firmen entscheiden sich sogar, alle Teams auf einmal zu „agilisieren“. Ob das ratsam ist, hängt sicherlich sehr vom Kontext ab. Eine gehörige Portion Respekt davor ist jedoch in jedem Fall angebracht.

Krise Nr. 2 – Next level!

Yeah! Die Handvoll Menschen, die agil arbeiten sollte, hat sich durchgekämpft und die drängendsten Konflikte gelöst . Nach ein paar Monaten ist sie mit einem veränderten, aber gemeinsam getragenen, Wertekanon in der Phase der Produktivität aufgetaucht.

Soweit, so gut!

Die Motivation ist hoch, Transparenz wird wertgeschätzt und Impediments schnell aus dem Weg geräumt. Zumindest bisher. Denn bisher gabs die meisten Herausforderungen innerhalb des Teams, doch das ändert sich jetzt.

Inzwischen stellt das Team fest, dass es noch viel produktiver sein könnte, wenn sich gewisse Rahmenbedingungen und damit das Zusammenspiel mit anderen Abteilungen und Teams verbessern würde.

An dieser Stelle trifft der neue Wertekanon des Teams auf den alten Wertekanon, die Arbeitsweisen und die Kultur der umliegenden Organisation. Das Team macht sich also auf eine Zeitreise ein paar Monate zurück und findet dort ein Umfeld und Arbeitsweisen vor, die sie gerade mit viel Blut und Tränen hinter sich gelassen haben.

Dass das nicht konfliktfrei abläuft, sollte klar sein – Leitplanken und Vorgärten und so.

Für das Team, welches inzwischen agil arbeitet, kann das ein ziemlicher Downer sein, denn diese Impediments sind nicht immer leicht und vor allem nicht schnell zu lösen.

Die Vergangenheit holt das Team ein…

Der agile Bumerang

Who wants change? – „YEAH!“
Who wants to change? – *silence*

Wenn das Team Impediments meldet, die durch das Umfeld entstehen, ist das der Moment, in dem es auch für Führungskräfte spannend wird.

Spätestens jetzt wird nämlich klar, dass das „wir müssen agil werden!“ nicht nur das eine Team betrifft, sondern Implikationen für die gesamte Organisation hat – das agile Stöckchen wird so unerwartet zum Bumerang!

Offensichtlich hakt es auch in der Gesamtorganisation und da muss ich ran, aber ich verstehe eigentlich gar nicht genau, was in dem Team passiert und warum das jetzt plötzlich ein Thema ist – verdammt, ich kanns nicht mal richtig erklären!

Und der agile Coach sagt mir jetzt auch noch, dass Agilität einen anderen Führungsstil erfordert… dabei hat das mit meiner Steuerung bisher doch so super geklappt und ich war bisher so erfolgreich damit! Jetzt soll das nicht mehr angesagt sein?

Und aussitzen kann ich das auch nicht, weil die Truppe so gnadenlos transparent ist und im Review auch noch erzählt, wodurch sie außerhalb ihres Teams geblockt sind. 

So hatte ich mir das aber nicht gedacht…

… Du erkennst das Muster, oder?

Versöhnliches zum Schluss

Wir agile Coaches erzählen immer gerne, dass Agilität ein gutes Mittel sei, um auf sich verändernde Umweltbedingungen einzustellen. Permanentes Inspect & Adapt und iteratives Vorgehen hilft Unternehmen, fit für die komplexen Herausforderungen der Zukunft zu werden. Empirisches Arbeiten rockt!

Das stimmt auch.

Was bei dem ganzen Thema jedoch viel zu stiefmütterlich betrachtet wird, sind die Werte-, Struktur-, Verhaltens- und Kulturveränderungen, die nötig sind, um agiles Denken (nicht arbeiten!) nachhaltig zu etablieren.

Zugegeben, das ist auch viel schwieriger zu greifen, dauert viel länger und ist eine große Herausforderung. Aber es hat ja auch niemand gesagt, dass es einfach sei.

Warum also dieser Perspektivwechsel?

Einfach, weil wir uns die Zeit nehmen sollten.

Wir tendieren dazu, unbewusst anzunehmen, dass andere genauso ticken, wie wir selbst. Das ist aber nicht so und im Zweifel führt das zu Missverständnissen, Wertekonflikten und Reibungsverlusten.

Wenn wir uns mit anderen Menschen auf den agilen Weg begeben, egal ob mit einem oder mehreren Teams oder einer ganzen Organisation, dann hilft es, das immer im Hinterkopf zu behalten.

Gerade als Begleiter oder Mitgestalter agiler Veränderung, egal in welcher Rolle, sollten wir hier sehr bewusst hinschauen.

Denn wir können nur auf das reagieren, was wir wahrnehmen.

Inspect & adapt, halt 😉

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2 Kommentare

  1. Prima, das auch Agile Coaches ihre Arbeitsweisen hinterfragen, die Umsetzungsmassnahmen anpassen und das „buy-in“ der Mitarbeiter stärker berücksichtigen. Du hast dazu gelernt, stellst die richtigen Fragen und triffst sehr gute Schlussfolgerungen. Weiter so Markus

    1. Danke für Dein Feedback, Peter!
      Na, ich hoffe doch, dass ich dazulerne! 😀
      Lass uns gerne demnächst mal persönlich quatschen.

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