Warum Firmen in Nichtveränderung verharren

Als Berater für Organisationsentwicklung und Agile Coach frage ich mich, warum sich Kunden Beratung suchen und sich dann doch mit dem Ändern so schwer tun.

Ein Beispiel aus der Praxis für solch ein Verharren

Als Beispiel mag ein junges Startup dienen, welches schneller wächst als Strukturen und Kommunikation mithalten können. Bei inzwischen über 70 Mitarbeitenden tragen die ursprünglichen Arbeitsweisen, in denen sternförmig die Inhaber der Mittelpunkt aller Kommunikation sind, nicht mehr. Den gegründeten Abteilungen fehlt eine strategische Ausrichtung und Regeln, wie übergreifend an der Verbesserung des Produktes gearbeitet werden soll. Man ist erfolgreich so groß geworden, wie man jetzt ist. Ein gesundes Wachstum ist jedoch ausgeschlossen, da es keine skalierende Arbeitsweise gibt, die mitwächst.

Ein unternehmerischer Scheidepunkt: Während der Stolz auf das bisher Erreichte und die vorherrschende Unternehmenskultur scheinbare Sicherheit versprechen, erfordert das weitere Wachstum Strukturen und disziplinierte Kommunikation.Bis jetzt ist man glücklich ohne dies ausgekommen. Was bisher immer passend war, ist nun unpassend geworden. 

Nach umfangreichen Interviews mit Führungskräften und Mitarbeitenden entstand ein klares Problembild mit Wünschen für Verbesserungen. Während es immer noch ein offenes Bekenntnis zu Veränderungsnotwendigkeit gibt kommen die Arbeiten daran jedoch zum Stocken. Irgendwie fehlt der Zug.

Hört man jetzt jedoch auf, ist das für Interviews ausgegebene Geld noch das kleinste Problem. Geweckte Erwartungshaltungen in der Belegschaft können schnell zu Demotivation und Dienst nach Vorschrift führen. Im Extremfall verbrennen hilfreiche Methoden wie Agilität schon, bevor sie überhaupt eingeführt wurden. Der Firma fehlt die DNA zu weiterem Wachstum.

Thesen für Nichtveränderung

Kennen Sie auch Firmen, in denen Verbesserungsversuche auf halber Strecke liegen bleiben? Woran kann das liegen? Ich habe da ein paar Thesen.

Der oder die Berater*in ist unpassend

Der einfachste Fall. Ab und an kommt es schon vor, dass ein Berater*in nicht zum Kunden passt. Das kann man ansprechen und sich anders umschauen. Oft soll aber unbewusst einfach nur das Problem vermieden werden und die erkannten Konflikte macht man an dem fest, was neu und anfassbar ist: Dem Berater*in.

Stolz auf das Erreichte verhindert die Veränderung

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Selbst wenn uns klar ist, dass etwas getan werden muss, ist morgen auch noch ein Tag. Dazu kommt noch Stolz und Beharren: Man ist ja nicht ohne Grund noch im Geschäft, wird also nicht alles falsch gemacht haben! Der Impuls, dass das, was sich gestern bewährt hat, sich morgen auch noch bewährt hat, ist hoch! 

Zu sehr mit sich selbst beschäftigt

Wenn das Bewährte sich also nicht mehr trägt, muss sich im Umfeld etwas verändert haben, das die Veränderung notwendig macht. Ist der Blick mehr nach Innen in die Organisation gerichtet, als nach Außen, entgehen einem solche Veränderungen des Marktes leicht, man verpasst die Chance, sich rechtzeitig anzupassen. In einer Marktwirtschaft fatal. Der Wettbewerb wartet nicht!

Schon längst vergessen, warum wir angefangen haben

Häufig ist auch zu beobachten, dass das Tagesgeschäft die nötige Veränderung immer wieder verdrängt. Es wird durchgestartet, gewartet, neu gestartet, wieder umpriorisiert. Die Veränderung bekommt nicht ausreichend Gewichtung gegenüber dem Tagesgeschäft. Zeit vergeht. Und irgendwann wird es einfach lästig, alle zwei Wochen mal wieder ein Meeting für Veränderung zu machen. Die Gründe dafür liegen schon zu lange zurück. Und die spärlichen Meetings sind nur Tropfen auf dem heißen Stein und werden schließlich als gänzlich überflüssig angesehen. 

Konfliktvermeidung

Veränderung bedeutet immer auch Konflikt. Man kann sogar so weit gehen, dass Konflikt der notwendige Motor für Innovation ist, da Konflikt ja die Unzufriedenheit mit einer aktuellen Situation widerspiegelt und damit erst den Wunsch auf etwas Neues entstehen lässt. 

Organisationen verändern sich nur selten, weil sie Lust darauf haben (Möhre am Stiel). Es bedarf eines erkennbaren und besprechbaren Grundes für Veränderung (Krise).

Dann selbst in der Veränderung kommt es zu weiteren Konflikten, denn Menschen suchen nach Sicherheit und Veränderung bringt sie aus ihrer Komfortzone heraus, lässt Missstände erst richtig sichtbar werden, bedingt bei den Beteiligten das Loslassen von bereits sicher geglaubten. 

Der Glaube, alles alleine im Griff haben zu können

Der Hauptgrund für agile Vorgehensweisen ist die zunehmende Komplexität von Systemen und Organisationen. Im Unterschied zu komplizierten Problemen gibt es nicht mehr den einen Plan oder die eine Person, die alles lösen kann. 

Wir hätten aber alle gerne einen Plan, der uns heute gut schlafen lässt! 

Stattdessen sollen wir uns demütig damit abfinden, dass komplexe Problemlösungen es bedingen, sich auf Experimente einzulassen und auszuprobieren? Etwas tun, bei dem der Erfolg nicht, das Lernen aber schon garantiert ist? So sind wir nicht erzogen worden.

Agilität bietet viele Erfahrungen, um Sicherheit in der Unsicherheit zu behalten. Dazu ist aber ein fundamentales Umdenken und Mut erforderlich. 

Fehlendes Vertrauen

Vertrauen ist ein zweites, wichtiges Element, um mit Komplexität umzugehen. Gib einem Team eine Aufgabe, alle nötigen Skills und das Vertrauen daran mit, dass sie die Aufgabe lösen werden. Fehlt das Vertrauen, so kann man nicht loslassen, muss an allem beteiligt sein und verliert sich in der Komplexität einer Sache. 

Vertrauen ist notwendig, um möglichst unabhängige Strukturen zu schaffen, die teamorientiert komplexe Probleme lösen können.

Ich bin Chef, also muss ich auch anschaffen

Gerade in klassischen Unternehmen, aber auch im Startup, ist es schwer einzugestehen, dass die Führungsebene nicht alles überblicken kann. Dass statische Pläne nicht funktionieren. Und dass organisationales Lernen, z.B. mit Experimenten, ein wesentlicher Wettbewerbsvorteil ist. Das nötige Loslassen, um Teams auch zu Höchstleistung zu bringen, ist kein Führungsstil, der instinktiv innewohnt.

Viele ambitionierte Führungskräfte denken, sie müssten Held sein, mit anpacken, alles überblicken. Während dies im Einzelfall hilfreich sein kann ist es viel schwieriger aber auch beim komplexen Hintergrund wichtiger, gut delegieren zu können.

Deshalb ist es so wichtig, sich zu Beginn einer Beratung mit Komplexität auseinanderzusetzen und zu beurteilen, ob das eigene Produkt / Umfeld ein komplexes ist. Und sich dann zu überlegen, mit welchem Führungsstil und mit welchen Methodiken / Mindset der passende Umgang damit erfolgen soll.

Wasch mich, aber mach mich nicht nass!

Ein Klassiker, der sehr gerne von höheren Führungsebenen angewendet wird. Die Idee dahinter ist, die Veränderung nach unten oder wo anders hin zu delegieren, sich selber dann nicht ändern müssen. Sehr bequem! 

Änderung der Arbeitsweise wie eine Tooleinführung

Zu denken, eine andere Art zu arbeiten inclusive passendem Mindset wie ein neues Werkzeug einzuführen, ist irrig. Ein neues Tool wie z.B. Microsoft Word kann man schulen, es hat einen klaren Einsatzzweck und, vor Allem, beherrschen wir es (im vorliegenden Beispiel vielleicht nicht wirklich). Bei einem Tool entscheiden wir, wann wir es einsetzen und wann nicht. Wir bleiben in Kontrolle.

Anders ist es bei einer Arbeitsweise. Das muss begleitet und vorgelebt werden. Das verändert uns, wir müssen anders agieren. Und wir fühlen uns vielleicht nicht immer ganz unter Kontrolle, unsere Erfahrungen und das bisher Aufgebaute nicht wertgeschätzt.

Verdeckte Interessen

Es kann einem Veränderungsvorhaben echt das Rückgrat brechen, wenn vordergründig einer Veränderung zugestimmt wird, es jedoch beim Lippenbekenntnis bleibt. Z.B. weil man seine Unabhängigkeit nicht verlieren möchte, da es im Rahmen von Strukturen eher zu mehr Abstimmung und Transparenz kommen müsste und dies die Unabhängigkeit einschränkt. So etwas kann lange unentdeckt bleiben, sorgt aber für ein Scheitern der Veränderung.

Schlussfolgerung

So viele mögliche Gründe, warum Veränderungsvorhaben im Sande verlaufen. Und die Liste ist bestimmt nicht vollzählig. Finden Sie sich oder andere darin wieder?

Meiner Erfahrung nach verlieren Betroffene sich zu häufig und zu schnell in Aktionismus, bevor überhaupt die Problemstellung klar und akzeptiert ist. Viele Agilisten tendieren dazu, so von ihrer Lösung überzeugt zu sein, dass sie ihr Umfeld nicht mitnehmen. Und selbst wenn dies gegeben ist, konkurrieren zu viele gute Ideen mit dem Tagesgeschäft und dem tagesaktuell brennenden Feuer.

Organisationsentwicklung setzt ganzheitlich an, berücksichtigt was zu bewahren ist und warum Änderung nötig ist. Kultur, Normen und Konflikte werden berücksichtigt, um Aktionismus vorzubeugen und die Wahrscheinlichkeit für das Gelingen zu erhöhen. Es klappt auch selten im eigenen Saft, ohne externe Referenz. Bei größeren Vorhaben oder auch bei einer schwierigen Ausgangslage lohnt sich deshalb ein externer, erfahrener Organisationsentwickler.

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