Fußballteam steht Arm in Arm im Kreis zur Beratung mit den Trainern

Die Entscheidung treffen wir im Team – wie integrative Entscheidungsfindung nachhaltigen Wert schafft

Immer wieder stehen in Unternehmen Entscheidungen an, durch die Mitarbeiter unmittelbar betroffen sind. So zum Beispiel durch höhere Arbeitsbelastung, Stress oder Herausforderungen wie die Einarbeitung in neue Themen, Umstellung auf neue Teamkonstellationen usw.
Werden die Mitarbeitenden in den Entscheidungsprozess und in die Gestaltung des Vorgehens nicht integriert, kann dies fatale Folgen für alle Beteiligten haben. Es ist zudem eine verschenkte Chance, operatives Wissen und Erfahrung der Belegschaft einfließen zu lassen.

Warum es an der Zeit ist, bei Entscheidungen einen gemeinsamen, konstruktiven Weg zu beschreiten und wie dies zu einer inspirierenden Veränderung führen kann, steht im Mittelpunkt dieses Beitrags.

Ein typisches Beispiel gängiger Entscheidungsfindung

Jeder von uns hat das schon einmal erlebt. Das Team wird zu einem Meeting eingeladen. Ein neues Thema wird vorgestellt. Vielleicht eine sehr gute neue Idee, die großes Potential hat, oder ein Problem, das bereits seit längerem besteht und jetzt dringend behoben werden muss.
Im Vorfeld wurde bereits viel Zeit in die Vorbereitung investiert. Die Führungskräfte und ein Expertenrat haben zusammengesessen und ein Konzept für das Vorgehen erarbeitet. Nun wird das Team – oder gar die Teams – informiert und darauf eingeschworen. „Jetzt kommt es auf euch an”, „Wir brauchen eure Hilfe”, „Auf der Kundenmesse muss das funktionieren” sind mögliche Sätze seitens der Führung, die dann fallen können. 

Erste Stimmen melden sich „Oh ja, wirklich wichtig, wir sollten das angehen.”, „Wie soll das denn neben der aktuellen Arbeit noch reinpassen?”, „Gut, dass ihr transparent seid.” … Klaus winkt ab, Anja fragt sich, ob es etwas mit der Unternehmensreorganisation zu tun hat, Stephan hat schon Ideen zur Umsetzung und Nele hat Zweifel, äußert diese jedoch nicht, um besser nicht negativ aufzufallen.
Schon nächste Woche soll es losgehen. Die Führungskräfte sind zufrieden. Das Meeting ist ja gut verlaufen, es gab keinen großen Einwand bei der Vorstellung und ein „Showstopper” wurde auch nicht identifiziert. Etwas Kritik ist ja ganz normal. Gut, dass es jetzt losgeht.

Und stopp! Was ist hier tatsächlich passiert?

Lasst uns hier einmal anhalten und uns diese wohlbekannte Situation genauer ansehen.

Was können wir beobachten?

  • Die Führung legt schon vor dem Meeting fest, dass dieses Thema Priorität hat.
  • Die Führungskräfte bauen zeitlichen Druck auf.
  • Es wurde schon im Vorfeld ein Konzept entwickelt.
  • Die Führungskräfte glauben, das Team wertschätzend motiviert zu haben.
  • Die Führung hörte zu, fand aber „keine großen Widerstände”.
  • Die Führungskräfte zeigen sich zufrieden, dass sie die Hürde genommen haben, das Thema dem Team vorzustellen, und dass es nun endlich losgehen kann.

Was daran problematisch ist

  • Die Führungskräfte beziehen die betroffenen Personen überhaupt nicht in die Planung ein.
  • Einflüsse auf Führungsebene, die dem Team nicht bekannt sind, wurden ggf. gar nicht erklärt. 
  • Es gab für das Team nicht ausreichend Möglichkeit, darüber nachzudenken, welche Konsequenzen die Aufgabe auf ihren Arbeitsalltag hat.
  • Indem die Führung Feedback auf kurze Wortmeldungen während des Meetings reduzierte, behandelte und berücksichtigte sie dieses nicht tiefergehend.
  • Die Führung beachtete nur laute Stimmen und übersah die leisen.
  • Gedanken in Form von Lösungen, Ideen oder auch Kritik wurden vor der Konzeption nicht gesammelt und ausgewertet.
  • Der aufgebaute zeitliche Druck wurde nicht gegen wahrhaftige Notwendigkeit, Machbarkeit, Kosten, Qualität mit der Belegschaft usw. abgewogen. 
  • usw.

Versteckte Risiken

  • Schwache Motivation der Mitarbeitenden, die zu geringem Commitment und niedriger Loyalität hinter der Entscheidung führt.
  • Das vorgefertigte Konzept schränkt das Team ein und begrenzt Innovationen sowie Ideen.
  • Fehlende Betrachtung durch Schwarmintelligenz führt zu vermeidbaren Fehlern (Funktion gar nicht relevant/dringend, Konkurrenzlösung schon vorhanden, Rechtliches, Standards, usw.).
  • Frustration im Team steigt durch fehlende Integration und Identifikation mit dem Potential für langfristige Schädigung des Mitarbeiterverhältnisses.
  • Ungehörte Probleme wie Überlast, Wartezeiten und Überforderung treten auf.
  • Es besteht die Gefahr einer Distanzierung zwischen Belegschaft und Führungskräften („wir und die“).
  • Stopp und Aufgabe des Vorhabens mit verschwendeter Zeit und überflüssigen Kosten sind möglich. 
  • Zweifel an der Qualität der Führungskräfte sind wahrscheinlich.

Fehlende Integration der Beteiligten in Entscheidungsfindungen: ein Defizit mit Folgen

In unserer Geschichte spielt Mitarbeiterführung kaum eine Rolle. Provokativ gesagt, könnte man der Führung ihre Rolle sogar absprechen. Krasses Statement? Weshalb?
Führung bedeutet, eine Vision zu haben und diese anzustreben. Dabei wird oft verkannt, dass jede Führung auch eine Gefolgschaft hat, die Aufmerksamkeit erfordert. Führung sollte also nachhaltig sein. Nachhaltig heißt, nicht dem Unternehmen und folglich auch dessen Belegschaft/Gefolgschaft zu schaden. Wie wir gesehen haben, hat unser Beispiel aber ein hohes Risiko, genau diesen Schaden zu bewirken.

Mein Leitsatz: “Triff keine Entscheidung ohne die Zustimmung derer, die sie tragen müssen!”

Fußballkinder und Trainer sitzen zusammen und besprechen die Aufstellung mittels Spielfeldplan.

Mit diesem Leitsatz nehmen wir uns nun noch einmal unsere Geschichte von oben vor.
Diesmal versuchen wir, unser Vorgehen mit Rücksicht auf die Belegschaft zu optimieren. Ein möglicher Weg in 7 Schritten.

Ausgangssituation:
In unserem Beispiel ist ein Thema so bedeutend geworden, dass die Führung davon überzeugt ist, es angehen zu müssen.

1. Die Führungskräfte präsentieren das Thema in einem kurzen Meeting oder per Mail.
Folgende Sätze finden sich in der Formulierung wieder: „Wir haben ein Thema, das uns alle betrifft”, „Wir brauchen eure Expertise und Erfahrung, um ein besseres Gesamtbild zu erhalten”, „Eure Einschätzung ist essentiell, weil ihr – je nach Entscheidung – das Thema umsetzen werdet”, „Wir wollen verstehen, ob und wann es spätestens gebraucht wird und bis wann wir glauben, es umsetzen zu können?”. 

2. Sie bitten alle beteiligten Teams oder Kollegen, darüber nachzudenken. 

3. Es folgt eine Einladung zu einem Meeting mit dem Aufruf: “Bitte seid kritisch und sprecht auch schmerzhafte Punkte an”, „Fragt euch, wie ihr euch damit fühlt und teilt das gerne mit, denn ihr seid uns wichtig”.

4. Im besten Fall führt ein neutraler Moderator oder Facilitator die Mitarbeitergruppe im Meeting 

  • Es wird darauf geachtet, dass alle verstehen, worum es geht, und das Thema nachvollziehen können.
  • Durch verschiedene Techniken des Facilitators bekommen alle die Möglichkeit, ihre Gedanken und Ideen einzubringen. Auch zurückhaltende Personen werden integriert. 
  • Kritische Betrachtungen werden vorgestellt und gemeinsam besprochen. 
  • Potentielle Gefahren werden identifiziert und Ideen gemeinsam bewertet. 
  • Wenn möglich, wird eine Entscheidung getroffen – unter der Voraussetzung, dass ein Konsens gefunden werden kann.

5. Eine Gruppe aus Freiwilligen und Spezialisten erstellt aus all den gesammelten Informationen ein Konzept. 

6. Dieses Konzept wird in einem Folgemeeting wieder den Teams zur Prüfung vorgestellt.
Nun ist der Prozess begleitet von anerkennenden Kommentaren zu kritischen Bemerkungen, die vor Schaden bewahrt haben und dem Dank für die Beteiligung und die Ideen, die eingeflossen und entstanden sind. Es wird gemeinsam Feedback gesammelt, um den Startschuss für die Umsetzung zu geben.
Erste Stimmen melden sich: „Oh ja, wirklich wichtig, wir sollten das angehen”, „Gut, dass wir geklärt haben, wie das neben der aktuellen Arbeit priorisiert wird”, „Gut, dass wir so transparent sind”… Klaus bemerkt freudig, dass die Funktion nur in Teilen Relevanz für die Messe hat und lächelt entspannt, weil der Umfang in Bezug auf die Messe reduziert wurde. Anja erklärt der neuen Kollegin alle Hintergründe und den damit verbundenen Plan. Stephan hat schon Ideen zur Umsetzung, die auch Nele betreffen, und fragt sie nach ihrer Meinung.

7. Der Plan wird verabschiedet, schon bald geht es los. Es geht nur noch darum, einige wenige Abhängigkeiten aufzulösen. Bei der Planung wurde auf Puffer zur Vermeidung potentieller Überlastung geachtet. Im Team breiten sich eine positive Stimmung und ein gutes Gefühl aus, weil jeder die Gelegenheit hatte, sich einzubringen und einen Teil zur Lösung beizutragen.
Nicht alle sind begeistert, aber können gut damit leben und tragen die Entscheidung mit. Jetzt kann es losgehen.

Ja, ich weiß… Die Schmetterlinge fliegen, die Blumen blühen und alles ist rosarot.

So sehr überzeichnet ist dieses Vorgehen und dessen Resultat aber gar nicht. Das kann ich behaupten, weil ich es mehrfach selbst erfahren durfte. Auch in extremen Situationen. So erlebte ich, wie dieses Vorgehen vollkommen zerfallene Teams innerhalb von 2-3 Monaten von Grund auf veränderte, nämlich zu Teams mit signifikant besserer Stimmung und Leistung, die auch hinter Entscheidungen standen, wenn es mal nicht optimal lief. 

Es ist eben etwas anderes, beteiligt zu sein, selbst gestalten zu können und Klarheit sowie eine Stimme zu haben. Es geht auch nicht darum, jede Entscheidung sofort und immer in dieser umfassenden Weise zu treffen. Wie so oft gibt es das Ideal und es gibt den Willen, sich dem Ideal so weit wie angemessen und möglich anzunähern. Das richtige Maß wird man über Feedback der Teammitglieder herausfinden. Gute Führungskräfte haben eine Vision und sorgen für das Wohlbefinden der Mitarbeitenden, die Entscheidungen umsetzen und über die nötigen Kompetenzen verfügen.

Hier noch einmal die Vorteile der integrativen Entscheidungsfindung auf einen Blick zusammengefasst:

Vorteile des Investments in integrative Entscheidungsfindung

  • Früheres Erkennen von Informationslücken, falschen Annahmen oder Planungsfehlern
  • Dadurch Risikominimierung und daraus resultierende Kostenvermeidung
  • Eine wertgeschätzte Belegschaft mit höherer Motivation und stärkerem Identifikations-/Zugehörigkeitsgefühl
  • Bessere Verbindung zwischen Führungskräften und der Belegschaft
  • Vertrauensaufbau mit positiver Auswirkung auf die Unternehmenskultur
  • Gesteigerte Loyalität der Belegschaft gegenüber den Projekten und dem Unternehmen 
  • Steigerung der Qualität sowie Robustheit der Teams
  • Erhöhte Gewissheit über die Zukunft und das Arbeitsumfeld
  • Investitionen in psychologische Sicherheit mit positiver Auswirkung auf die Krankheits- und Kündigungsrate

Ich hoffe, die Geschichte hat geholfen, einen Entscheidungsprozess aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und zu erkennen, welches Potential darin liegt, sich etwas Zeit zu nehmen, um gemeinsam mit den Mitarbeitenden eine Basis zu schaffen, die wesentlich robuster und nachhaltiger ist. Diese Investition ist vergleichsweise klein bezogen auf die Risikominimierung und die Benefits. Findet dieses Vorgehen öfter statt – egal ob bei kleinen Entscheidungen oder bei großen – führt das unweigerlich zu einem nachhaltig besseren Arbeitsklima mit all den positiven Effekten, die es mit sich bringt. – Na, wenn das nicht lohnend ist.

Nun liegt es an euch, Erfahrungen zu sammeln. Sprecht mit Freunden und Kollegen darüber. Probiert es im Kleinen aus und wachst empirisch. Viel Spaß hierbei!

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